Kleine Adelshöfe, große Handelsstadt

Die Welt, in der Bach lebte

Johann Sebastian Bachs Musik wird meist als "überzeitlich" und abgelöst von ihrem Kontext wahrgenommen. Das Publikum weiß wenig über Bachs Lebenswelt. Wie ging es zu in Thüringen und Sachsen, wo Bach aufwuchs und Karriere machte?

Johann Sebastian Bach hat sein Leben in zwei unterschiedlichen Regionen zugebracht: Das heutige Sachsen mit Leipzig als Bürgermetropole und Dresden als Herrschersitz gehörte bis ins frühe 18. Jahrhundert zu den bedeutendsten Territorien des alten Kaiserreichs. Im heutigen Thüringen dagegen herrschte die sprichwörtliche deutsche Kleinstaaterei.

Durch Erbteilung war das Land in mehrere kleine Fürstentümer zersplittert. Alle 40, 50 Kilometer wurde ein ländliches Städtchen zur "Hauptstadt" ausgebaut. Kultur war für diese Regenten die einzige Möglichkeit, sich zu profilieren.

Versailles oder Wien als Modell

Bach lebte genau in der Zeit, als Residenzen wie Köthen oder Weimar höfischen Glanz zu entfalten trachteten, was die Kasse hergab – bis ein Teil von ihnen 50, 60 Jahre später pleite ging; aber das war nach Bachs Thüringer Zeit.

Als junger Mann fand Bach gute Bedingungen für eine Karriere vor. Die Landesherren nahmen sich Versailles oder Wien zum Modell, um einen zwar kleineren, aber nicht provinziellen Kulturbetrieb zu etablieren.

Der junge Rebell und der Zugriff des Herrschers

Schon mit achtzehn trat Bach in Arnstadt seinen ersten Organistenposten an; wenige Jahre später brachte er es in Weimar zum "Concertmeister". Der Eklat, den er dort produzierte, gehört zu den bekanntesten Bach-Anekdoten.

Der äußerst selbstbewusste, ja rebellische junge Virtuose hatte eine Stelle in Köthen angenommen, ohne vorher seinen Weimarer Dienstherrn um Entlassung zu bitten. Der Fürst ließ ihn für ein Monat einsperren und warf ihn dann hinaus. Von sich aus zu kündigen war für einen Hofbediensteten damals undenkbar. Der Regent konnte in das Ende des Dienstverhältnisses einwilligen – oder auch nicht. Eine subtile Form von Leibeigenschaft, die aber nicht als ungewöhnlich empfunden wurde und auch die höchsten Würdenträger betraf.

Andererseits darf man sich die Adelsherrschaften jener Zeit nicht als Diktaturen im modernen Sinn vorstellen. Es fehlten die Mittel, um die Bevölkerung flächendeckend zu überwachen.

"Kleine Weltstadt" und Bastion des Luthertums

Zu Bachs Lebzeiten gab es in Mitteldeutschland keinen lang andauernden Krieg, keine schlimmen Epidemien und keine großen Hungersnöte. Gerade in der Messestadt Leipzig war der Wirtschaftsaufschwung in Sachsen besonders spürbar. Es gab immer mehr Reiche, aber auch immer mehr Arme; Bettler gehörten zum Straßenbild.

Leipzig zählte zwar nur 30.000 Einwohner, entfaltete aber internationalen, französischen Glanz. Andererseits galt das bürgerliche Leipzig als Bastion des Luthertums. Zugewanderte französische Hugenotten durften lange keine öffentlichen Gottesdienste halten. Den wenigen Katholiken wurde erst Mitte des 18. Jahrhunderts eine kleine Kapelle erlaubt.

Nicht zur Spitze der Gesellschaft gezählt

In einer Stadt also, die die Religion so wichtig nahm, hatte Bach den Posten des leitenden Kirchenmusikers, des Thomaskantors, inne. Trotzdem wurde er offenbar nicht zu den Spitzen der Gesellschaft gezählt. Die Gelehrten der Leipziger Universität dürften sich wenig für den Musicus interessiert haben. Und Bachs Vorgesetzte, die Kirchenobersten der Stadt, ließen ihn auflaufen, als er für eine qualitative Verbesserung des Chors und Instrumentalensembles kämpfte.

In einem seiner wenigen erhaltenen Brief beklagte er sich bitter über Leipziger Verhältnisse. Hätte er den Thomaskantor lieber an den Nagel gehängt, wenn sich ein attraktives Engagement etwa am Dresdner Hof gefunden hätte? Wir wissen es nicht mit Sicherheit - wie mangels Quellen vieles an Bachs Leben und Persönlichkeit im Dunklen bleiben muss.