Vom guten Gewissen zu eigen Hilfsprojekten
Mehr als nur ein Foto
Wie weit geht das Interesse der Kinderpaten wirklich? Ein Wiener Ehepaar hat vier Patenkinder und 23 Freunde als Paten vermittelt. Jährlich besuchen sie diese 27 Kinder in Süd-Indien und finanzieren darüber hinaus Dorfprojekte mit eigenem Geld.
8. April 2017, 21:58
Hans Jörg Hansely über sein und seiner Frau Hilfsprojekte
Den Anstoß gab ein Brief, erzählt die Pensionistin Gertraud Hansely, der hat sie so neugierig gemacht, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann im Frühjahr 1998 das erste Mal nach Gnanapoo Illam und Tarangambadi in Süd-Indien gefahren sind. Seit 1994 war sie Patin für ein Mädchen namens Barati, neun Jahre alt, wollte wissen, wie es aufwächst, wie es mit seiner Familie lebt.
Mädchenheim statt Rundreise
Die erste Reise dauerte zwei Wochen, beide waren damals noch berufstätig. Sie wollten eigentlich nur ein paar Tage bei Barati verbringen, den Rest der Zeit die Tempelanlagen und Städte besichtigen. Barati wohnte in einem Mädchenheim, wo sie drei Mahlzeiten bekam, medizinisch versorgt wurde und die Schule besuchen konnte. Baratis Familie, eine Fischerfamilie, war - wie fast ein Drittel der indischen Bevölkerung - so arm, dass sie sich den Schulbesuch ihrer Tochter nicht leisten konnte. Aus der Rundfahrt durch Süd-Indien wurde nichts, das Ehepaar kehrte bereits nach drei Tagen Städtetrip wieder in das Mädchenheim zurück.
Sie seien freundlich und herzlich aufgenommen worden, erzählen die Hanselys. Die Kinder haben für sie gesungen, sie haben Blumen bekommen. Mit Barati und ihrer Familie hätten sie sich auf Anhieb gut verstanden. Sie hatten den Eindruck, willkommen zu sein und haben sich nicht wie Touristen sondern wie Freunde gefühlt.
27 Patenkinder
Seit damals haben die Hanselys ihre Patenkinder sieben Mal besucht, manchmal in Begleitung einiger Freunde, die auch Paten sind. Im Jänner und Februar werden sie wieder nach Süd-Indien fahren. Sie sind mittlerweile beide in Pension, haben gut verdient und keine Kinder. Die Reise kostet sie etwa 5.000 Euro. Barati, 19 Jahre alt, lebt nicht mehr in dem Mädchenheim. Sie wollte Lehrerin werden, doch ihre Lernerfolge in naturwissenschaftlichen Fächern blieben aus. Jetzt macht sie eine Ausbildung zur Sekretärin, die Gertraud Hansely finanziert.
Förderung kann weiter gehen
Die meisten Patenschaften enden, wenn die Kinder die Schule abgeschlossen haben. Es besteht aber für die Paten die Möglichkeit, das Kind darüber hinaus zu unterstützen und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Auch in Notfällen, wenn das Kind zum Beispiel eine Operation benötigt, können die Paten finanziell helfen.
"Das sollte nicht sein, im 21. Jahrhundert."
Schulbildung ist für Frauen in Indien keine Selbstverständlichkeit. Frauen werden gegenüber Männern noch immer stark benachteiligt, wie zahlreiche Hilfsorganisationen und die Welt-Gesundheitsorganisation kritisieren. Mädchen werden häufig vor oder kurz nach der Geburt getötet; wenn sie überleben, bekommen sie weniger Nahrung, müssen früh hart arbeiten und werden schon im Alter von 14 oder 15 Jahren verheiratet. Ein Großteil der Ehen in Indien werden von Vermittlern arrangiert. Das kostet. Vor allem die armen Familien verschulden sich, um die Mitgiftforderungen erfüllen zu können.
Mit kleinen Dingen viel bewegen
Gertraud und Hans-Jörg Hansely engagieren sich nicht nur für die Kinder, sondern auch für deren Familien, für ihre Dörfer. Mit eigenem Geld und Spenden, die sie bei ihren Freunden sammeln, finanzieren sie kleine Hilfsprojekte. Sie haben eine Reisküche und eine Möbelwerkstatt aufgebaut, Bücher für die Schulbibliothek gekauft. Auch nach dem schweren Seebeben am 26. Dezember 2004 waren sie in Süd-Indien und haben geholfen: mit Verbandszeug und Kokospalmen-Setzlingen. Die Kokospalme trägt schon nach wenigen Jahren Früchte, sie spendet Schatten und hält mit ihren Wurzeln das Erdreich zusammen. Die Palmwedel werden für den Bau von Zäunen, Matten und Dächern verwendet, weiß Hans-Jörg Hansely. Das lerne man alles, wenn man mit offenen Augen durchs Land fährt.
Dass Paten ihre Kinder besuchen und sich außerdem aus eigener Initiative für deren Familien engagieren, sei ungewöhnlich, sagt Luzia Wibiral, Geschäftsführerin der "Kindernothilfe Österreich", jener Kinderpatenschaften-Organisation, über die Hans-Jörg und Gertraud Hansely ihre Patenschaften abwickeln. Von etwa 1.800 Paten besuchen jährlich vier Menschen "ihre" Patenkinder. Die Organisation hilft dabei. Sie stellt den Kontakt zu den Helfern her und informiert die Paten über Impfungen, Regen- und Ferienzeiten.
Menschen, die sich für eine Kinderpatenschaft entschließen, hätten von vornherein ein größeres Interesse an dem Kind, als Menschen, die einfach "nur" Geld spenden, sagt Luzia Wibiral. Die Paten erfahren in einem jährlichen Projektbericht, wie sich das Kind und das Hilfsprojekt, in dem es lebt, entwickeln, wie viel es gewachsen ist, wie seine Fortschritte in der Schule sind, wie es seiner Familie geht.
Wer mehr wissen will
Bei den meisten Kinderpatenschaften ist Briefkontakt möglich. Sie habe keinen Einblick, wie viele Paten tatsächlich Briefe schreiben, sagt Luzia Wibrial, das sei auch nicht kein Kriterium, denn die Paten würden mit ihrer Spende auf lange Zeit einem Kind und seinem Umfeld helfen.
Hör-Tipp
Moment, Leben heute, Mittwoch, 19. September 2007, 17:09 Uhr
Link
Österreichische Kindernothilfe