Ein wortgewandter Bürgerschreck

Wer war Hjalmar Söderberg?

In Schweden ist er heute einer der meist gelesenen Autoren des Fin de Siècle, damals war er einfach nur peinlich. Was er schrieb, galt als unmoralisch und skandalös. Mit Geld, Frauen und Alkohol konnte er nicht umgehen. Mit Worten schon.

Schon der erste Roman des 1869 in Stockholm geborenen Hjalmar Söderberg war ein Skandal, denn die biederen Bürger Schwedens waren einfach nicht darauf vorbereitet, dass in ihrem Stockholm Menschen lebten, wie man sie höchstens im Quartier Latin in Paris vermutete: entwurzelte Existenzen, dekadente Lebemänner, Nichtsnutze und Tagediebe. Aber besonders erschüttert war man, dass es jemandem einfiel, diesem Gesindel und ihrem verwerflichen Treiben literarische Ehren zukommen zu lassen, noch dazu einem Sohn eines braven Beamten!

Sechsundzwanzig war Hjalmar Söderberg, als 1895 "Förvillelser" gedruckt und er selbst als "Pornograph" berühmt wurde. In deutscher Sprache erschien der Roman 1914 unter dem Titel "Irrungen" und 2006 neu übersetzt als "Verirrungen".

Es kam noch dicker
Sollte einer der biederen Bürger Stockholms gehofft haben, dass dies das einzige Werk des jungen Söderberg sein würde, wurde er enttäuscht, denn schon drei Jahre später veröffentlichte Söderberg seine Novellensammlung "Historietten". Und diese Novellen schmerzten besonders, denn der scharfe Blick Söderbergs und seine klare, präzise und immer ein wenig ironische Sprache zeigen unbarmherzig die kleinen Verfehlungen und die großen Lebenslügen der guten Gesellschaft auf.

Wieder drei Jahre später erscheint sein neuer Roman, "Martin Bircks Jugend", der wieder in Stockholm spielt und teilweise autobiographisch vom Erwachsenwerden eines Beamten in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts erzählt: Söderberg hat sein Berufsleben als Zollbeamter begonnen, bevor er als Journalist zum "Svenska Dagbladet" kam.

Das war der Gipfel
Mit dem 1905 erschienenen Roman "Doktor Glas" entfachte er einen Sturm der Entrüstung. "Geschmacklos" und "gegen die guten Sitten" waren noch die harmloseren Vorwürfe, die sich bald in Richtung "abscheulich", "verwerflich" und "moralisch verkommen" steigerten.

Vier Monate begleitet der Leser die Hauptfigur Doktor Glas und liest dessen Gedanken in seinem Tagebuch. Erfährt so von der hübschen Pastorenfrau, deren Mann auf seinen ehelichen Pflichten besteht, obwohl ihre Gesundheit auf dem Spiel steht. Kann die zunehmende emotionale Beteiligung des Arztes an dieser Tragödie miterleben, seine Besorgnis, sein Verliebtsein, sein Begehren nachvollziehen. Die ersten Gedanken an Mord. Die Gewissensbisse.

Private Turbulenzen
Der Wirbel um "Doktor Glas" hatte sich kaum gelegt, da brach Söderbergs Privatleben zusammen: Seine Frau entdeckte, dass er schon lange eine Affäre hatte. Sie verließ ihn und nahm die drei Kinder mit. Die "Affäre" ließ ihn ebenfalls sitzen. Und: seine finanzielle Lage war mehr als angespannt. Söderberg verließ Stockholm, zog nach Kopenhagen und verarbeitete die jüngsten Lebenserfahrungen zum Drama "Gertrud" und dem Roman "Das ernsthafte Spiel", der erst kürzlich in deutscher Sprache erschienen ist. In zunehmenden Alter beschäftigte sich Söderberg verstärkt mit Fragen der Religion und der Politik: er war einer der wenigen, die den wachsenden Faschismus mit deutlichen Worten bekämpfte.

Hjalmar Söderberg starb im Oktober 1941 in Kopenhagen.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 20. September 2007, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Hjalmar Söderberg, "Die Spieler. Zwölf Erzählungen und ein Roman". Eichborn Verlag, 2000. ISBN 3821841842 (Doktor Glas)

Hjalmar Söderberg, "Verirrungen", Piper Nordiska, 2006. ISBN 3492049060

Hjalmar Söderberg, "Das ernsthafte Spiel", Piper Nordiska, 2007. ISBN 3492051138