Eine neue Autorengeneration

McOndo

Die jungen, lateinamerikanischen Autoren thematisieren in ihren Werken den ökonomischen und kulturellen Einfluss der USA, Drogenkartelle, politische Krisen und Jugendszenen. Einige Autoren kreierten für diese real-aberwitzige Welt den Begriff McOndo.

"Großmütter, die fliegen, und ähnliche Figuren gehören eher in die Mythologie als in die Wirklichkeit. Das heißt aber nicht, dass es bei uns an Absurdem mangelt. Was in unseren Städten passiert, ist so absurd, das braucht man nicht einmal mehr verändern. Es genügt, es so zu erzählen, wie es ist", verweist Jorge Franco auf seinen Roman "Die Scherenfrau".

Die Protagonisten sind frei erfunden, doch viele Details über das Leben der Auftragskiller sind aus der Wirklichkeit übernommen. "Das ist kein magischer Realismus, das ist purer Realismus", sagt Jorge Franco.

"Hundert Jahre Einsamkeit"

Jorge Franco stammt aus Kolumbien, der Heimat von Gabriel García Márquez. Jorge Franco wurde 1962 geboren, fünf Jahre, bevor García Márquez seinen Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" veröffentlichte. Das Werk schildert anhand einer Familie den Aufstieg und Verfall einer Nation und parallel dazu die Geschichte eines ganzen Kontinents. Es wurde zum Symbol für die literarische Richtung des magischen Realismus, der Realität, magische Elemente und Träume verbindet.

"Hundert Jahre Einsamkeit" spielt in dem Ort Macondo an der kolumbianischen Karibikküste. Der heute 80-jährige Gabriel García Márquez lebt selbst an der Karibikküste, während Jorge Franco in der Stadt Medellín aufwuchs, wo er als Jugendlicher in den 1970er Jahren den Aufstieg des Drogenkartells von Pablo Escobar erlebte.

Eine neue Schriftstellergeneration

Jorge Franco gehört einer Generation von Autoren an, die heute häufig als McOndo-Generation bezeichnet werden. McOndo war der Titel einer 1996 publizierten Anthologie von Kurzgeschichten junger lateinamerikanischer Schriftsteller. Im Prolog von McOndo wurde das Macondo von "Hundert Jahre Einsamkeit" mit der stark von den USA und McDonald’s beeinflussten Lebensrealität der jungen Autoren verglichen. Da hieß es:

Wir verleugnen nicht das Exotische und Bunte (...) unserer Länder, aber es ist unmöglich, die reduktionistischen Essentialismen hinzunehmen. (...) Unser McOndo ist so lateinamerikanisch und magisch (exotisch) wie das reale Macondo (das natürlich nicht real, sondern virtuell ist). Unser Land McOndo ist größer, überbevölkert und voll Umweltverschmutzung, mit Autobahnen, U-Bahnen, Kabelfernsehen und Slums. In McOndo gibt es McDonald's, Mac-Computer (...) Lateinamerika (...) erscheint uns so magisch-realistisch (surrealistisch, verrückt, widersprüchlich, wahnwitzig) wie jenes imaginäre Land, in dem die Menschen levitieren, die Zukunft vorhersagen und die Männer ewig leben.

Der Kampf gegen einen Mythos

Die Kritik von McOndo richtete sich nicht gegen die Großmeister der lateinamerikanischen Literatur wie Gabriel García Márquez, sondern gegen deren Nachahmer, sagt der mexikanische Autor Ignacio Padilla. In deren Händen sei der magische Realismus zu einer Formel verkommen. "Der Markt wollte einen Mythos, eine Art Logo vertreiben" - das exotisch-magische Lateinamerika. Gegen diesen Mythos verwehrten sich die jungen Autoren - und sie müssen sich bis heute dagegen verwehren, denn Mythen sind hartnäckig.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 27. September 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Hans-Otto Dill, "Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im Überblick", Reclam, ISBN 9783150097380

Sabine Harmuth, Dieter Ingenschay, "Lateinamerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts", Klett 2001, ISBN 9783129396261

Michael Rössner, "Lateinamerikanische Literaturgeschichte", Metzler Verlag, ISBN 9783476018588

Hector Abad, "Kulinarisches Traktat für traurige Frauen", Wagenbach , ISBN 9783803125460

Jaime Bayly, "Sag es keinem", Ammann-Verlag, ISBN 9783250103004

Roberto Bolano, "Chilenisches Nachtstück", Hanser, ISBN 9783446208223

Alonso Cueto, "Die blaue Stunde", Berlin Verlag, ISBN 9783827006721

Jorge Franco, "Rosario Tijeras", Unionsverlag, ISBN 9783293003033

Jorge Franco, "Paraíso Travel", Unionsverlag, ISBN 9783293003460

Santiago Gamboa, "Verlieren ist eine Frage der Methode", Unionsverlag, ISBN 9783293202023

Santiago Gamboa, "Das glückliche Leben des jungen Esteban", Wagenbach, ISBN 9783803131690

Ignacio Padilla, "Schatten ohne Namen", Tropen, ISBN 9783932170843

Jorge Volpi, Eloy Urroz, Ignacio Padilla, "Drei Skizzen des Bösen", Hainholz, ISBN 9783932622809

Jorge Volpi, "Das Klingsor-Paradox", Klett-Cotta, ISBN 9783608930665

Links
Alberto Fuguet - Spanisch
Jorge Franco - Spanisch
Edmundo Paz-Soldán - Spanisch
Ivan Thays - Spanisch