Unterschlupf in Argentinien

Deutsche Raketenforschung in der Pampa

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Experten für Waffentechnik arbeitslos. Sie, die im militärisch-industriellen Komplex Hitlers treue Dienste geleistet hatten: in den Versuchsanstalten und Flugzeugfabriken. Die Siegermächte rissen sich um sie.

Die USA sicherten sich mit ihrer Operation Paperclip tausende Nazi-Wissenschaftler, darunter Wernher von Braun, den Vater der nordamerikanischen Raumfahrt. Auch die Sowjetunion bediente sich in ihrer Besatzungszone. Aber sowohl die USA wie die UdSSR wählten die Ingenieure, jeden einzelnen, nach den eigenen Interessen aus. Nur ein Land nahm Nazis mit offenen Armen auf, ohne darauf zu achten, wer und aus welchem Grund Europa verlassen wollte: Argentinien.

Insgesamt haben am Rio de la Plata nach 1945 etwa 50.000 Nazis Unterschlupf gefunden. Ob Kriegsverbrecher oder nur gewissenlose Wissenschaftler, die auf den Zug der nationalsozialistischen Rüstungsmaschinerie gesprungen waren - das wurde gar nicht untersucht.

Techniker aus ganz Europa in Argentinien

"Es kamen, eingeladen von unserem Luftwaffenamt, Techniker aus ganz Europa", schwärmt Kommodore Luis Antonio Cueto von der argentinischen Luftwaffe, "Italiener, Franzosen und Deutsche wie Kurt Tank".

Tank war der einstige Chefentwickler der Focke Wulff Werke und Vater des berühmten Fliegers "Focke 190". Er brachte sechzig seiner besten Ingenieure mit nach Córdoba in die neugegründete Flugzeugfabrik.

Die Karriere des Hans Kleiner

Drei Routen führten nach Argentinien, mit Hilfe des Vatikans über den Hafen von Genua oder über Skandinavien und die Schweiz. Da ist zum Beispiel Hans Kleiner. Er war 1923, mit 16 Jahren, in die NSDAP eingetreten, ein Jahr später in die schwarze Reichswehr. Der Ingenieur machte Karriere bei der Kölner Wilhelm Schmidding KG, zuletzt als Miteigentümer. In Hitlers Rüstungsamt leitete er den Hauptausschuss der Flugzeugausrüstung und entwickelte im schlesischen Zweigwerk Schmiedeberg, zusammen mit der Firma Heinkel, das Kampfflugzeug Julia I. Es hatte ein Düsentriebwerk, Kanonen unterhalb des Rumpfes und Raketen an der Seite.

Die Air Defense Intelligence, der Geheimdienst der US-Airforce, stellte im Kölner Stammwerk Schmidding 56 Aktenordner sicher und eignete sich somit die Forschungsergebnisse in den Bereichen Raketen, Düsenantriebe und Raketentreibstoffe an. Er hatte im Konzentrationslager Schmiedeberg mit dem Raketentreibstoff Myrol experimentiert und dabei hunderte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge benutzt. Laut US-Geheimdienstquellen war Schmidding damals die sechstwichtigste Firma in der Raketenforschung, die eng mit Wernher von Braun zusammen arbeitete. Kein Wunder, dass der Ingenieur Hans Kleiner nach 1945 das Weite suchte. Er ging mit Hilfe des argentinischen Staatschefs Juan Domingo Perón in die Pampa.

Aus V1 wurde Condor

Eine dritte, wenig bekannte Fluchtroute verlief über Dänemark und Schweden, heißt es in einem freigegebenen Bericht der CIA. Über sie kamen Professor Kurt Tank und seine Leute, die in Córdoba eine Flugzeugfabrik aufbauten. Von den deutschen Ingenieuren lebt noch Ulrich Stampa. "Perón hat Tank sehr schön aufgenommen, er hat Geld gekriegt, eine Wohnung und hat arbeiten können."

Gearbeitet wurde ganz in der Nähe, in Falda del Carmen, auch an geheimen Raketen. Die V1 aus Peenemünde wurde nachgebaut und weiterentwickelt. Diese Arbeiten hätten im Nachkriegsdeutschland nicht durchgeführt werden dürfen. Aus ihnen ging die argentinische Rakete Condor hervor, die offiziell im Februar 1961 das erste Mal abgeschossen worden ist. Auf US-Druck wurde das Condor-Projekt in den neunziger Jahren stillgelegt. Da waren auch die deutschen Ingenieure längst wieder in ihre Heimat zurück gekehrt, in die bekannten Rüstungsschmieden, zu Dornier und Messerschmitt. Die Flugzeugfabrik in Córdoba ist heute ein Museum, vermietet an die US-Rüstungsfirma Lockheed Martin.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 4. Oktober 2007, 18:25 Uhr