Zeitreise Wissenschaft

Marshall McLuhan Revisited

Auf Marshall McLuhans Sprachkonto geht nicht nur das Diktum vom Medium als Botschaft, sondern auch von der Welt als globalem Dorf. Medien sind einfach "Erweiterungen bestimmter menschlicher Anlagen". So sei auch der erste Satellit im All ein Medium.

Auf Marshall McLuhans Sprachkonto geht nicht nur das Diktum vom Medium als Botschaft, sondern auch von der Welt als globalem Dorf. Medium ist für McLuhan alles - von der Krücke über das Auto bis zum Gewehr. Medien sind einfach "Erweiterungen bestimmter menschlicher Anlagen". So beurteilt er auch den ersten von Menschen gebauten Satelliten im All als Medium:

"Wenn die Satelliten um den Planeten kreisen, dann verwandeln sie die Erde in ein ökologisches Kunststück. Sobald Sputnik den Planeten umkreiste, sagten alle: Ökologie, das ist es! Vorher hatte niemand dieses Wort gekannt."

Mediale Phasen der Menschheitsgeschichte

Für Hannes Haas, Professor für Publizistik in Wien, hat McLuhan versucht, eine Art Sinnesgeschichte zu schreiben. Medien arrangieren die Sinne neu, indem sie die Wahrnehmung verändern.

So unterscheidet McLuhan mehrere Phasen der medialen Menschheitsgeschichte: Zuerst kommt die orale Kultur des Stammesmenschen, in der der "kosmische Terror" regiert. Danach kommt das visuelle Zeitalter, das durch die Erfindung des Alphabets markiert wird und danach durch den Buchdruck. Letzerem entspricht bereits der industrielle Arbeitsprozess, die Wiederholung, die Strukturierung von Arbeitsabläufen. Es ist die Zeit der fixen Standpunkte, des Nationalismus und des Individualismus, und auch der Psychoanalyse:

"Die Welt von Jung und Freud ist die Welt des Unbewussten. In Stammesgesellschaften gab es kein Unterbewusstsein. Nur der literate Mensch, der visuelle Mensch, stopft eifrig Sachen in sein Unterbewusstes. Der Stammesmensch hat alles in seinem Bewusstsein", so McLuhan in bekannt apodiktischer Art, als Meister der freien Assoziation, wie etwa nachhörbare Interviews mit dem kanadischen Literaturprofessor aus dem Jahr 1970 belegen.

Fernsehen als innerer Trip

Die so genannte Gutenberg-Galaxis reicht bis in die Moderne herauf und wird erst durch die Elektrizität abgelöst. "Unter elektronischen Voraussetzungen hat ... das Visuelle den kontinuierlichen Charakter verloren. Vor allem unter den Bedingungen des Fernsehens wird es mosaikhaft, collageartig, ein Flimmern von Punkten."

Das Fernsehen, sagt McLuhan in einer Talk-Show, geht raus aus der Bildröhre und direkt in das Nervensystem. Fernsehen: das sei ein innerer Trip. Der Zuschauer ist "stoned" vom TV, er ist berauscht. Das im Erscheinungsjahr von "The Medium is the Message" (1967) noch junge elektronische Medium treibe den Zuschauer in eine östliche Welt.

"Insofern als das Fernsehen ein innerer Trip ist beraubt es Menschen natürlich äußerer Ziele. Es treibt Menschen ja in die Innenwelt. Das ist ganz anders als im Kinofilm, der die Menschen nach außen getrieben hat. "

Fernsehen sei deshalb kein visuelles Medium, sondern ein taktiles, meint McLuhan. Die Begründung: Es lässt uns Anteil nehmen an weit entfernten Schicksalen, es berührt uns. Was McLuhan schließlich zum Sprachspiel verführte: "The Medium is the Massage".

Das globale Dorf

Ebenfalls mit McLuhan assoziiert wird die Unterscheidung zwischen heißen und kalten Medien. Das Fernsehen ist ein kaltes Medium, weil es vom Zuschauer aufgrund fehlender Details eine große persönliche Beteiligung verlangt. Die Fotografie ist aufgrund ihres Detailreichtums ein heißes Medium, das dem Betrachter nichts mehr oder nur wenig abverlangt.

Sehr weitsichtig war McLuhan in der Vorhersage des "globalen Dorfes" - mit dieser Metapher hat er vorweggenommen, dass die elektronischen Medien uns an fast jeden Ort der Welt bringen bzw. fast jede Weltgegend zu uns ins Wohnzimmer kommt. Auch positive Konsequenzen des "globalen Dorfes" waren McLuhan bewusst. So spricht er etwa davon, dass in einer elektronischen Informationswelt Minderheiten nicht mehr abgesondert oder ignoriert werden können. Weil allzu viele Menschen allzu viel voneinander wissen. Oder wortwörtlich: "Unwiderruflich sind wir aneinander beteiligt und füreinander verantwortlich geworden".

McLuhan der Entdecker

Prophetisch zeigt sich McLuhan auch, wenn er ein Phänomen andenkt, das man heute den Pro-Sumenten nennt - die Verbindung von Produzent und Konsument. In den 1960er Jahren sind diese Sphären noch genau getrennt.

Vielen richtigen Einschätzungen zum Trotz ist McLuhans Medientheorie, soweit man aufgrund ihrer Bruchstückhaftigkeit von Theorie sprechen kann, sehr einseitig. Der Schweizer Medientheoretiker Felix Stalder nennt McLuhans Zugang "Technodeterminismus". McLuhan bedenke nicht, dass die Gesellschaft Medien gestalten kann. McLuhan leitet gesellschaftliche Phänomene recht direkt von der medialen "Hardware" ab, ohne zu thematisieren, dass etwa Radios in der Hand des Staates ganz andere Schwerpunkte setzen als auf private Geldgeber angewiesene.

Durch die deterministische Sichtweise haftet allen Konsequenzen der Medien-Benutzung bei McLuhan etwas Unausweichliches an. Aber wie beschrieb Marshall McLuhan sich selber? Als Medientheoretiker? Nein, weit gefehlt. In der Talkshow "On Cavet" sagte er 1970: "Ich bin kein Theoretiker, sondern ein Experimentator, ein Entdecker."

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 28. Dezember, 22:30 Uhr

Buch-Tipp
Marshall McLuhan, "The Medium is the Massage", Gingko Press

Links
On Cavet - Interview mit Marshall McLuhan
On Speaking Freely - Interview mit McLuhan

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