Die Welt ohne Männer
Die Kluft
In Doris Lessings neuem Buch "Die Kluft" sind die Männer in gewisser Weise die Unruhestifter, das Unheil der weiblichen Seele. Lessing erzählt die Geschichte der Menschheit neu - und schreckt mit ihren 87 Jahren auch nicht vor deftigem Lesestoff zurück.
8. April 2017, 21:58
In einer Welt ohne Männer gibt es keine Intrigen, keine Trauer, keinen Neid - ja, gar keine Gefühle. Und freilich keinen Sex. Die Frauen lagen damals, in fröhlichen Urzeiten, faul auf Felsen in der Sonne, schwammen hin und wieder im Meer und wurden vom Mond schwanger. Als jedoch der erste Mann das Licht dieser Welt erblickt, bringt er allerlei Probleme mit sich. Das friedliche Leben der Frauen hat ein für alle Mal ein Ende.
Spalten und Zapfen
Für viele Frauen ist dieser interessante Ansatz sicher allein schon ein Grund, das Buch in die Hand zu nehmen. Dabei besticht die britische Autorin nicht nur durch ihre provokante These, sondern auch durch ihre trockene und humorvolle Art, diese dem Leser darzulegen. Aus der Perspektive eines konservativen römischen Senators erzählt sie die Geschichte der Menschheit neu - und schreckt mit ihren 87 Jahren auch nicht vor deftigem Lesestoff zurück.
So nennt sie die Frauen vieldeutig "Spalten" und die Männer "Zapfen". Als der erste "Zapfen" geboren wird, halten ihn die Frauen schlicht für ein Ungeheuer und setzen ihn auf einem Felsen aus. Doch erschreckenderweise kommen immer mehr männliche Babys zur Welt. Die entsetzten Frauen, für die Muttergefühle ein Fremdwort sind, setzen auch diese Schreckenssäuglinge zum Sterben aus. Doch viele werden von Adlern gerettet und in ein Tal gebracht. Dort wächst langsam eine Kolonie von Ungeheuern heran.
Lasten der Neuzeit
Den Vorwurf, ihr Buch sei männerfeindlich, weist Lessing - deren "Goldenes Notizbuch" aus dem Jahr 1962 als feministischer Literaturklassiker gilt - ab. Schließlich kümmerten sich die Männer doch um die Babys, die ihnen die Adler bringen, und sie seien tapfer und abenteuerlustig, erklärte Lessing bei einer Lesung in Hamburg. Die weiblichen Wesen der Urzeit entwickeln dagegen erst nach und nach so etwas wie mütterliche Gefühle. "Dass Kinder kostbar, viel versprechend oder bedrohlich waren, kam erst später auf", schreibt Lessing. Nämlich dann, als die ersten "Spalten" mit den "Zapfen" zusammentreffen.
Damit kommen auch andere Lasten der Neuzeit auf: So spielt auf einmal das Alter eine Rolle; die jungen Frauen empfinden "Ekel" vor den Alten, die wie "gestrandete Nacktschnecken" aussahen. Sehnsucht, Sextrieb, Kummer und Besitzanspruch belasten die "neuen Spalten" auf einmal, zuvor undenkbar.
Sie liebten einander nicht heftig und ausschließlich, daher kamen bestimmte Formen von Kummer gar nicht auf.
Weisheiten über das Leben
Das Buch ist gespickt mit Weisheiten über das (beschwerliche) Leben zwischen Mann und Frau. Brillant erzählt Lessing beispielsweise, wie die Frauen ständig an den Männern herummeckern, worauf diese wiederum die Flucht ergreifen und die sich sehnenden Frauen vor ihren Höhlen sitzen lassen. Das ist nur eine der Passagen, bei der der Leser - egal ob männlich oder weiblich - still und heimlich nur mit dem Kopf nicken und schmunzeln kann.
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Buch-Tipp
Doris Lessing, "Die Kluft", Verlag Hoffmann und Campe
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Verlag Hoffmann und Campe