Die Zeiten ändern sich

Von Kindern in Büchern

Es stimmt schon: Kinder sind die Zukunft. Das stimmt aber auch: Jede aufwachsende Generation muss aufs Neue der Barbarei entrissen werden. Kinder spielen in unserer Welt eine neue Rolle. Drängen jetzt schon die "Zehn-Plus" auf "unseren Platz"?

In den letzten zwei Monaten sind mir mehrere Bücher in die Hände gefallen, in denen Kinder eine wichtige Rolle spielen. Wohl gemerkt: Es sind keine Kinderbücher, na, vielleicht das eine, dieses russische, aber auch das ist typisch für das Umdenken, das mir in Bezug auf Kinder in den letzten Jahren aufgefallen ist. Begonnen hat dieses Umdenken seinerzeit mit Pippi Langstrumpf und Konsorten, jenen klugen Kindern, die einfach deshalb, weil sie frech genug alle Regeln missachten, die Rätsel lösen, an denen die Erwachsenen scheitern. Diese kleinen respektlosen Rangen aus Büchern, Hörbüchern, Fernsehsendungen und Kino, die den realen Rangen zu Vorbildern geworden sind, gibt es jetzt auch noch. Mittlerweile gebrauchen sie zusätzlich zu ihrem Verstand Magie.

Dann kamen die Songs mit den einprägsamen Zeilen: "Nie mehr Schule!" oder "Teacher, leave them kids alone!" Wobei der Song jenes Herren mit der Nicht-Stimme und der völligen Absenz jeglicher Art von Gesangstechnik (der dennoch unbeirrt von allen Bühnen, die man ihm zu ersteigen gestattet - und mittlerweile sind es unzählige – erst ins Mikrofon und dann ins Publikum "Kinder an die Macht" bellt) mir das größte Unbehagen bereitet. Immer noch. Ich kann mich daran erinnern, dass wir im Geschichtsunterricht von einigen besonders ungnädigen und fundamentalistischen Herrschern gehört haben. Alle waren unter "Zwanzig-Minus". Und hört man nicht aus den diversen Kriegen hinter den Meeren, den Bergen und den Wüsten, dass die unbarmherzigsten Schlächter die Kindersoldaten sind? Von wegen "Armeen aus Gummibärchen"!

Aber ich wollte über Bücher schwadronieren. Jenes russische zuerst. "Das Schlangenschwert" von Sergei Lukianenko ist eine gelungene Mischung zwischen Science Fiction und Fantasy. Es spielt in einer unbestimmbaren Zukunft, Hauptperson ist ein 13-jähriger Junge namens Tikkirej, der seinem unwirtlichen Heimatplaneten entflieht, indem er sich als "Bordcomputer" anheuern lässt. Auf seinem neuen Planeten begegnet er einem Sternenritter - und da setzt die Fantasy ein, denn dieser ritterliche Held beherrscht Magie. Tikkirej, der an die Ideale von Freundschaft und Anständigkeit glaubt, gerät in den Strudel eines intergalaktischen Machtkampfes, den er natürlich mit entscheiden hilft. Und zwar, weil er seinen Idealen treu bleibt. Spannend, in dieser "Mischung" neu, und beruhigend traditionell, was die Werte des Zusammenlebens angeht. Und witzig, weil die "Mitspieler" russische Namen haben, oder englische, die russisch aufgeschrieben wurden.

In einer Zeit, in der die Werte Freundschaft, Anständigkeit und so weiter nur in Ausnahmefällen galten, spielt "Die Kinder gehen in die Oper" von Lida Winiewicz, nämlich in den 1940er Jahren. Zwei Schwestern, elf und 13, warten in Wien bei ihrer Tante darauf, dass die Eltern sie ins Exil nachholen. Sie ertragen die Welt nur, indem sie Abend für Abend in die Oper "auf Stehplatz" gehen. Die große Politik, die Entscheidungen, die in Berlin über sie und ihresgleichen gefällt werden, erreichen sie nur "stückchenweise", in Form von Bomben, Sanktionen, Zurückweisungen. Die Briefe ihres Vaters erreichen die beiden gar nicht. Aber die beiden durchschauen, warum es so viele Nazis gibt. Vielleicht deshalb, weil Oper auch eine Schule der Emotionen ist.

Höchst emotional, vor allem, weil die Situation so absurd ist, entwickelt sich das Geschehen im Buch von Nessa Altura, "Die dreizehnte Klasse". Ein ganz normaler Schultag irgendwo am Bodensee endet im Grauen: Das Schulhaus stürzt ein. Eine ganze Klasse findet sich urplötzlich gemeinsam mit ihrem Lehrer im Dunkeln eingeschlossen. Nachdem sich der erste Schock gelegt hat, beschließt man, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Um sich das Warten zu erleichtern, um die Furcht zu besiegen, um nicht durchzudrehen. Zwischendurch rufen sie immer wieder im Chor, um auf sich aufmerksam zu machen. Ist schon der Rahmen der Handlung bemerkenswert, so sind es die erzählten Geschichten umso mehr, denn sie geben den Blick auf das Seelenleben der heute 16-, 17-Jährigen preis. Und das unterscheidet sich beträchtlich von meinem Seelenleben und dem meiner Schulfreundinnen im vergleichbaren Alter. Mord, Totschlag, Sex spielen in den erzählten Geschichten eine große Rolle, das Vorbild von TV-Krimis und Soap-Operas lässt sich nicht verleugnen. Aber es ist eine neue Art von Geschichten, die hier erzählt wird. Helfen Bücher, andere Generationen zu verstehen?

Eines noch: ein Krimi - ich bin doch Krimi-Fan! Ein Krimi, in dem jemand seine Erinnerungen an eine Schule beschreibt, in die dieser Jemand nicht gehen durfte, denn als Kind des Hausmeisters dieser Eliteschule steht ihm selbstverständlich nur die benachbarte, heruntergekommene Gesamtschule zu. "Jemand" schleicht sich in die verbotenen Gefilde, lauscht dem Unterricht, gewinnt einen Freund, fällt nicht als Fremder auf, verursacht schließlich durch Verkettung unglückseliger Umstände eine der Öffentlichkeit verheimlichte Katastrophe. Jahre später kommt dieser erwachsen gewordene Jemand zurück, und dann..., aber das sollten Sie selber lesen!

Buch-Tipps
Sergei Lukianenko, "Das Schlangenschwert", Verlag Beltz & Gelberg

Lida Winiewicz, "Die Kinder gehen in die Oper", Amalthea Verlag

Nessa Altura, "Die dreizehnte Klasse", Books on Demand

Joanne Harris, "Das verbotene Haus", Ullstein Verlag

Link
Ö1 für Kinder