Der deutsche Soziologe Reimer Gronemeyer im Gespräch
Der Tod gehört zum Leben
Der Tod war lange Zeit ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Er hatte seinen Ort inmitten der Familie, inmitten der Gesellschaft. "Der Tod gehört zum Leben - dieser Satz ist heute leer", meint der Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer.
8. April 2017, 21:58
Laut Luther stellen sich am Lebensende zwei Fragen
Michael Kerbler: Sind die Menschen vor hundert Jahren, vor fünfzig Jahren, in einem anderen Bewusstseinszustand verstorben, als heute? Ich habe den Eindruck, dadurch dass der Tod aus dem Leben ausgeklammert ist, stelle ich vielleicht auch nicht die Frage 'Welchen Sinn hat eigentlich das Leben'? Wenn ich mich mit dieser Frage nicht konfrontiere, weil ich's eben wegschiebe, auch weil ich genug zu tun habe den Alltag zu organisieren. Was heißt das aber, wenn sich dann plötzlich so eine Frage stellt, weil ein Angehöriger, ein Freund verunfallt ist? Oder eben aufgrund einer chronischen Krankheit in die letzte Lebensphase eingetreten ist?
Reimer Gronemeyer: Ich denke, andere Gesellschaften, nicht nur unsere Vorfahren, sondern auch - sagen wir einmal - afrikanische Gesellschaften haben den Tod symbolisch sehr viel mehr in ihre Mitte hineingenommen. In China bekam man zu seinem 50. Geburtstag einen Sarg. Das ist eine Erinnerung daran, dass der Tod zum Leben gehört. Diesen Satz kann man heute auch dauernd hören, er ist aber eigentlich nicht empfunden. Er ist leer. Jeder kann das sagen, ich empfinde das aber nicht.
Wenn man sich einmal noch an die Unterschiede erinnert: Ich weiß nicht, wie sich ein Mensch im Mittelalter gefühlt hat, aber was wir ahnen können ist, dass für ihn das Sterben verbunden war mit der Angst und der Hoffnung, von Paradies und Hölle. Das Ende des Lebens war ein ganz anderer Augenblick des Durchgangs. Es war nicht von Ende die Rede, sondern von Schrecken oder Hoffnung.
Für die meisten Menschen heute ist dieser Gedanke entschwunden - der Gedanke der Hoffnung oder der Furcht. Deswegen ist der Umgang mit dem letzten Lebensabschnitt auch ganz anders. Luther hat in einem Sermon zur Bereitung auf das Sterben gesagt: 'Was ist wichtig am Lebensende? Zwei Fragen sind wichtig: Wem muss ich noch etwas verzeihen? Wen muss ich noch um Verzeihung bitten?'
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 1. November 2007, 21:01 Uhr
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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
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Reimer Gronemeyer