Man muss beim Singen ja nicht immer etwas sagen

Ohne Worte

Muss ein Lied wirklich immer viele Worte verlieren, um uns etwas zu sagen? Manchmal genügt doch auch ein herzhaftes "Lalalala", das unsere Musikseele in Schwingung bringt und uns vielleicht sogar mehr vermittelt als manche Songtexte.

Ennio Morricones "Alla Serenita"

Wortlos heißt nicht unbedingt stimmlos und schon gar nicht sang- oder klanglos. Texte ohne Worte kann es streng genommen ja nicht geben, Lieder ohne Worte aber irgendwie schon. Seien wir einmal ehrlich! Wie oft hören wir bei Popmusik denn auch wirklich auf den Text? Ja, natürlich gibt es die Lieder, bei denen die Worte im Mittelpunkt stehen oder mit der Musik eine untrennbar verwobene Einheit bilden. Es gibt sogar sehr viele davon und natürlich auch sehr gute. Aber noch mehr Lieder gibt es wahrscheinlich, bei denen die Songschreiber sich glücklich schätzen können, dass wir nicht immer so genau zuhören beim Text.

Ein Wortfetzen hier, ein Wortfetzen da, den Refrain vielleicht ein bisschen genauer, das reicht zum Mitsummen und für die tägliche Sangeslust unter der Dusche. Wieso also nicht ab und zu von vorneherein den Text weglassen ohne dabei jedoch auf die Stimme zu verzichten!

Lied und Song

Das deutsche Wort "Lied" ist eigentlich untrennbar mit Textlichkeit verknüpft. Lyrik schwingt da mit, auch Poesie, in jedem Fall aber Worte, die vertont werden oder zumindest vertont werden könnten. Die Bezeichnung "Lied" ist jedenfalls oft auch dann sinnvoll anwendbar, wenn faktisch gar keine Musik zu dem Text existiert.

Beim englischen Wort "Song" ist das mit der Textlichkeit nicht ganz so streng. Da wird ein Jazz-Instrumentalstück genauso als Song bezeichnet wie eine Pop-Ballade, und es geht in der Definition viel eher um Länge und musikalischen Aufbau eines Stücks.

Film im Kopf

Aber, egal ob wir uns eher am deutschen oder am englischen Begriff orientieren, Lieder ohne Worte sind möglich, Lieder also, denen es gelingt, uns mit einem einfachen "Lalala" oder einem komplexeren "Dabadisasifasi" Geschichten zu erzählen oder zumindest unsere Musikseele in Schwingung zu bringen, sodass der Film im Kopf freier ablaufen kann.

Singen ohne Worte

In der klassischen Musik hat Singen ohne Worte unter der Bezeichnung "Vokalise" schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts Tradition und zwar ursprünglich als reine Gesangsübung. Jean-Baptiste Bérard nahm 1755 in sein Gesangslehrbuch "L'Art du chant" Lieder von Komponisten wie Jean-Baptiste Lully und Jean-Philippe Rameau auf, jedoch ohne die dazugehörigen Liedtexte.

Die Schülerinnen (Vokalisen gibt es vor allem für Frauenstimmen!) sollten einfach die Gesangsmelodie über einem Vokal singen. Aus dieser Idee heraus entwickelte sich die Vokalise als eigenständige Kunstgattung. Louis Spohr, Gabriel Fauré, Igor Strawinsky und Sergei Rachmaninow haben bewusst Vokalisen komponiert.

Kehlkopfgesang und Jodeln

Viel älter noch ist das wortlose Singen in manchen Volksmusiktraditionen - vom Kehlkopfgesang rund ums Altaigebirge bis hin zu den Jodlern des Alpenlandes. Da werden bedeutungsfreie Phoneme aneinanderreiht, die eigentlich nur dazu dienen, eine spezielle Gesangstechnik zu unterstützen.

Obertongesang mit richtigem Text wäre praktisch undenkbar, da man je nach Tonlage auf bestimmte Vokale angewiesen ist, um die Einzeltöne der Obertonreihe überhaupt zum Schwingen zu bringen. Allerdings kann man beim traditionellen Jodeln und beim Kehlkopfgesang nicht mehr wirklich von Liedern im eigentlichen Sinne sprechen.

Lalala-Songs im Film

Popsongs ohne Worte sind eher selten und wenn, dann findet man sie vor allem im Kino: Da soll die Musik ja helfen, Bilder zu verstärken und dementsprechend nicht erzählen, sondern Erzähltes einbetten. Und trotzdem tauchen gerade in Soundtracks immer wieder Gesangsstimmen auf, wortlose Stimmen, die aber weit mehr sind als nur "Vokalinstrumente".

Vor allem aus dem Kino der 60er und 70er Jahre sind Lieder ohne Worte nicht wegzudenken. Komponisten wie Ennio Morricone oder Francis Lai haben unsterbliche Lalala-Songs geschaffen. Denn die menschliche Stimme geht direkt in die Magengrube, oder ins Herz oder ins Gemüt, je nachdem, direkter jedenfalls als jedes andere Instrument. Auch ohne Worte.

Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 04. November 2007, 17:30 Uhr