Leben ohne Sozialversicherung - Teil 2

Weg vom Solidarprinzip

Die Zahl jener, die sich - nicht immer freiwillig - selbstständig machen, ist stark im Steigen begriffen. Wenn die Aufträge ausbleiben und die Schulden wachsen, kann oft auch die Sozialversicherung nicht mehr bezahlt werden - mit verheerenden Folgen.

Die Zerstückelung und systematisch Auslagerung betrieblicher Arbeit zeigt ihre Wirkung in den Einkommen: Rund 20 Prozent aller unselbstständig beschäftigten Personen arbeiten in Teilzeit, 85 Prozent davon Frauen, ein Viertel aller Teilzeitbeschäftigten hat die begrenzte Stundenzahl nicht freiwillig gewählt, so eine Studie der Arbeiterkammer Wien. Die Zahl der Personen mit Werkvertrag oder in freiem Dienstnehmerstatus beläuft sich derzeit auf knapp 100.000, ist aber, laut Arbeiterkammer, stark im Steigen begriffen. Ebenso die Zahl jener, die sich angesichts der Stellenknappheit selbstständig machen.

Keine Einzelschicksale

Wie Herr B.: Seine Bemühungen als, wie er sagt, "One Man Show", endeten mit Schulden, Verlust der Übersicht, kein Geld mehr für die Krankenversicherung, psychischem und schließlich auch physischem Zusammenbruch im Status des Nicht-Versicherten. Herr B. landete im Krankenhaus des Ordens der Barmherzigen Brüder in Wien, das jährlich rund 55.000 Kontakte mit Patienten hat, die nicht versichert sind, ambulant wie stationär.

Reinhard Pichler, Gesamtleiter des Krankenhauses: "Es fallen immer mehr Österreicher unter die Armutsgrenze." Studienautor Michael Fuchs bestätigt: "Ein wesentlicher Faktor sind geringfügig Beschäftigte oder neue Selbstständige unter der Pflichtversicherungsgrenze; für sie gibt es zwar die Möglichkeit des "opting in", aber aus finanziellen Gründen wird auf diese Art der Krankenversicherung oft verzichtet."

Derzeitiges Versichrungssystem gefährdet

48 Euro im Monat kostet das Kranken- und Pensionsversicherungspaket für geringfügig Beschäftigte und Selbstständige unter der Pflichtversicherungsgrenze - für Walter Pfeil, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Salzburg, geradezu ein "Diskontangebot", europaweit einzigartig. Andererseits, so Pfeil, werde auch deutlich: "Wir gehen weg vom Solidarprinzip, hin zum Individualprinzip, dass halt jeder schauen soll, wo er bleibt. Es wird ihm die Möglichkeit angeboten, aber wenn er sie nicht nützt - ok, eigene Entscheidung."

Pfeil sieht die Finanzierung des gegenwärtigen Versicherungssystems durch die wachsende Zahl geringer Einkommen und die verhältnismäßig starke steuerliche Belastung des Faktors Arbeit infrage gestellt: "Der Punkt ist - und diese Diskussion wird über kurz oder lang nicht mehr vermeidbar sein, auch wenn es politisch nicht populär ist - der Punkt wird sein: Wenn man Erwerbsarbeit zunehmend entlasten will, muss man auch andere Einkunftsarten auch für die Finanzierung der Sozialversicherung heranziehen, Stichwort Maschinensteuer."

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