Spaziergang mit Astrid Lindgren
Ein Schutzengel für Astrid
Heute wäre die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren 100 Jahre alt geworden. Als Heinz Janisch im Dezember 1988 Astrid Lindgren in ihrer Wohnung in Stockholm traf, spazierten sie nach dem Gespräch noch gemeinsam durch den tief verschneiten Park. Eine Erinnerung.
8. April 2017, 21:58
Über den Tod der "Brüdern Löwenherz" und den eigenen
Ich hatte meine alten Kinderbücher mit im Gepäck, auf der Reise zu Astrid Lindgren, damals im Dezember 1988. Kinder, denen ich erzählt hatte: "Ich fahre zur Mutter von Pippi Langstrumpf", hatten mir Zeichnungen mitgegeben – einen Baum zum Klettern und einen Schutzengel.
Astrid Lindgren lachte und freute sich über beide Zeichnungen. "Den Baum bekommt Pippi, zum Klettern", sagte sie. "Und den Schutzengel werde ich bitten, ein wenig auf mich aufzupassen."
"Ich trage gern eine Melodie mit mir"
In ihrer Wohnung in der Dalagatan 46, in Stockholm, wurde Kaffee gekocht, die freundliche Gastgeberin schnitt Kuchen auf, summte dabei vergnügt alte Kinderlieder. "Ich trage gern eine Melodie mit mir herum", sagte sie beim Tischdecken.
Eine Bücherwand im Wohnzimmer gehörte ganz ihren eigenen Büchern - da waren sie alle zu entdecken, die vielen bekannten Figuren: "Pippi Langstrumpf", "Kalle Blomquist", "Die Brüder Löwenherz", "Karlsson vom Dach", "Michel aus Lönneberga", "Die Kinder von Bullerbü"...
Mehr als 70 Bücher hat Astrid Lindgren geschrieben, Bücher, die verfilmt wurden, die in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurden und millionenfach verkauft wurden. Dennoch wirkte Astrid Lindgren ungemein bescheiden. Interviews gab sie nur selten, sie lebte meist sehr zurückgezogen, im Winter in ihrer Wohnung in Stockholm, im Sommer in einem kleinen Haus auf der kleinen Insel Furusund.Ihr Mann, Sture Lindgren, war 1952 gestorben, ihr Sohn Lars verstarb 1986 an einer schweren Krankheit. Astrid Lindgren lebte allein. Ihre Tochter Karin, selbst längst Mutter, kam oft zu Besuch. "Ich habe mich an das Alleinsein gewöhnt", sagte Astrid Lindgren im Gespräch.
Unterm Eulenbaum
Von ihrer glücklichen Kindheit im Smaland sprach sie gerne. Von ihrem "Kinderglauben", der ihr immer geholfen habe, vom "Eulenbaum" vorm Haus, in dessen Schatten sie als Kind viele Stunden verbracht habe, sie erinnerte sich an die ersten Stromkabel, die 1914 im Dorf ihrer Kindheit verlegt wurden, an den feierlichen Ausruf des Vaters beim Anknipsen des Lichts: "Es lebe die Elektrizität!"
Eines Morgens erschien eine "Flugmaschine" am Himmel und ladete schließlich - rauchend und knatternd - hinter dem Kuhstall. Astrid Lindgren erzählte von Edith, der Tochter des Kuhhüters, die es liebte, abends, in der Küche, Märchen zu erzählen, Geschichten von Feen und Riesen. "Dieses junge Mädchen - nur sieben Jahre älter als ich - hat mich zur Geschichtenerzählerin gemacht", sagte Astrid Lindgren dankbar.
Ewige Liebe
"Ein Buch ganz für mich zu besitzen! Dass man vor Glück nicht ohnmächtig wurde! Noch heute weiß ich, wie diese Bücher rochen, wenn sie funkelnagelneu und frisch gedruckt ankamen." Astrid Lindgren über die ersten eigenen Bücher, die sie - die Bauerntochter - sich jedes Jahr auf der Weihnachtsbuchausstellung in der Schule aussuchen durfte und die dann eines Tages per Post geschickt wurden. So hat sie begonnen, die große Liebe zu den Büchern.
Zeit ihres Lebens beeindruckt war Astrid Lindgren auch von der Liebe ihrer Eltern. Vater und Mutter - der Pfarrhofpächter Samuel August Erikson und seine Frau Hannah - kannten sich aus gemeinsamen Schultagen, ein Leben lang blieben sie einander verbunden. "Die Liebesgeschichte meiner Eltern ist die schönste Liebesgeschichte der Welt", schrieb Astrid Lindgren in ihrem Erinnerungsband "Das verschwundene Land".
Von ihrem neunten Lebensjahr an, und ihr ganzes Leben hindurch, blieb Hannah für meinen Vater seine Kleine, Inniggeliebte. Sie alterte, beide alterten, doch das änderte nichts. Ich erinnere mich ihrer, als sie beide schon die 80 überschritten hatten und das Leben um sie herum still geworden war. Wie er dort saß und ihre Hände hielt und so zärtlich sagte: "Meine kleine Inniggeliebte, hier sitzen wir nun, du und ich, und haben es schön."
Geschichten von Pippi Langstrumpf
Jahre später war Astrid Lindgren selbst verheiratet und Mutter. Eines Abends sagte ihre Tochter: "Erzähl mir Geschichten von Pippi Langstrumpf!" Sie hatte sich einen Namen ausgedacht, und so begann Astrid Lindgren - Tag für Tag - Geschichten zu erzählen, Geschichten von einem ungewöhnlichen Mädchen.
Sie schrieb die Geschichten auf und machte damit bei einem Schreibwettbewerb eines Verlages mit. Die unbekannte Autorin gewann den Wettbewerb, das Buch wurde 1945 erstmals gedruckt - und ein internationaler Bestseller war geboren.
"Ich sehe das Licht"
Es folgten viele andere Bücher, und sie alle machten die Autorin Astrid Lindgren berühmt. Ob "Ronja Räubertochter", "Die Kinder aus Bullerbü" oder "Die Brüder Löwenherz" - mit jedem Buch schuf Astrid Lindgren eine neue, faszinierende Welt für kleine und große Leserinnen und Leser.
In den letzten Jahren ihres Lebens konnte Astrid Lindgren kaum mehr selbst schreiben - die Augen waren zu schwach geworden. Briefe und Bücher mussten ihr vorgelesen werden. Humorvoll und optimistisch blieb sie dennoch bis zuletzt. Am 28. Jänner 2002 ist Astrid Lindgren in Stockholm gestorben. "Ich sehe das Licht, ich sehe das Licht" - so endet ihr Buch "Die Brüder Löwenherz", in dem zwei Brüder sterben müssen.
Nach dem Gespräch, damals im Dezember 1988, hat Astrid Lindgren nicht nur mit großen schwungvollen Buchstaben meine mitgebrachten Kinderbücher signiert, sie bat mich auch noch um einen Gefallen: Ob ich eine Runde mit ihr durch den nahen Park spazieren würde? Es sei viel Schnee draußen, ein Arm zum Festhalten wäre angenehm. So gingen wir los, und manchmal sehe ich uns da noch immer im Park, wie wir langsam unsere Runden gehen, Arm in Arm, vorsichtig die Schritte setzend, über Schnee und Eis, vorbei an hohen Bäumen und spielenden Kindern, während es langsam dunkel wird.
Download-Tipp
Menschenbilder, Astrid Lindgren, Sonntag, 11. November 2007, 14:05 Uhr
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