Ein BND-Agent packt aus

Deckname Dali

Wenn ein Autor auszupacken gedenkt und dies auch noch auf dem Umschlag seines Buches ankündigt, dann geht es selten um die ganze Wahrheit. Es geht um einen Standpunkt, um schmutzige Wäsche um mediale Präsenz, wie eben in Wilhelm Dietls neuem Buch.

Der deutsche Journalist Wilhelm Dietl war sicher nie ein Meister der Zwischentöne und der differenzierten Weltbetrachtung. Das kann man sich nicht leisten, wenn man für Zeitschriften wie "Quick" oder "Focus" schreibt und wohl auch nicht, wenn man für den deutschen Bundesnachrichtendienst - kurz BND - Informationen sammelt.

Wer sich, wie Dietl, für beides entscheidet, nämlich Journalist und Agent zu sein, noch dazu im Nahen und Mittleren Osten, der braucht andere Qualitäten: zuerst einmal Mut, dann Geduld, Hartnäckigkeit, ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit, wenig Selbstzweifel, dafür aber eine große Anpassungsfähigkeit. Wichtiger als ein Hemingway zu sein ist es nämlich, ein Vertrauensverhältnis zu syrischen, libanesischen oder ägyptischen Informanten aufzubauen.

Umwälzungen im Nahen und Mittleren Osten dokumentieren

Genau das hat Wilhelm Dietl in den 1980er und frühen 1990er Jahren getan: Er, der Journalist mit Nahosterfahrung, wurde vom BND angeworben, um die Umwälzungen im Nahen und Mittleren Osten nach Beginn der Iranischen Revolution zu dokumentieren und Bedrohungsszenarien für Deutschland frühzeitig zu analysieren. Denn die Ayatollahs einerseits und der syrische Staatspräsident Assad andererseits bestimmten in zunehmendem Maße die ideologische Ausrichtung des palästinensischen Widerstands, etwa durch die Gründung der Hisbollah. Sie förderten aber auch den internationalen Terrorismus. Männer wie Abu Nidal oder Carlos erhielten ebenso Unterstützung und Unterkunft, wie Aktivisten der RAF und der IRA.

Es wurde für mich Zeit, in Aktion zu treten, und die Konkurrenz abzuhängen. Mit Sorge beobachtete ich die Boulevardmedien, die zu viel verbrannte Erde hinterließen. Ich mobilisierte meine Vertrauten und Quellen in Damaskus. Es galt, Carlos verlässlich aufzuspüren und damit mehr als nur Yellow-Press-Prosa zu verbinden. Ich wollte die Syrer unter Druck setzen und die unbeschwerten Ruhestandstage des Phantoms Carlos verkürzen. Das konnte ich mir in dieser frühen Phase, Anfang 1991, noch nicht so recht vorstellen.

Launige Abenteuer-Erzählungen

Wie Wilhelm Dietl in einer Mischung aus Aufschneiderei, Gelassenheit und Skrupellosigkeit in Damaskus, Amman oder Beirut agiert, wie er wichtige Informationsträger der jeweiligen Regimes zum Plaudern bringt, wie er mit Geld, Cognac, Frauen und oft auch leeren Versprechungen den strengen arabischen Wertekanon aufbricht, das erzählt viel über den Preis des Menschen und über die Antastbarkeit der Würde.

Dietl ist kein wortgewaltiger, dafür aber ein launiger Erzähler seiner Abenteuer in Ländern, in denen man schneller eine Kugel im Kopf hat oder zumindest in einem feuchten Keller verschimmelt, als man bis drei zählen kann.

Der Unterhaltungswert solcher Erzählungen liegt, vornehm ausgedrückt, an der kulturellen Differenz. Man könnte auch sagen: im Ressentiment. Dietl bedient natürlich alle Vorstellungen, die wir vom korrupten und ständig erregten Araber haben. Und so lange er, der Deutsche, mit harter Währung die Puppen tanzen lässt, haben die Araber mit Geheimnisverrat keine Probleme.

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Dietl wird zum Star der Informationskeiler des BND. Seine Informanten haben zumeist weniger Glück. Die meisten von Ihnen erleiden einen gewaltsamen Tod. Als in den späten 1980er Jahren im Nahen Osten die Entführungsindustrie boomt, ist Dietl besonders erfolgreich. Der bullige Journalist weiß nicht nur, wie man an Informationen über Auftraggeber und Verstecke kommt, er wagt sich auch selbst immer wieder in Gegenden vor, die er oft nur mit viel Glück wieder verlassen kann.

All das hat nicht viel mit auspacken zu tun, da plaudert ein Agent eben aus dem Nähkästchen. Erst ganz am Schluss seines Buches geht der seit 1993 wieder ausschließlich als Journalist arbeitende Wilhelm Dietl mit seinen ehemaligen Auftraggebern hart ins Gericht. Deren Fehlentscheidungen hat er nämlich zum Thema seines ersten Buches gemacht. "Staatsaffäre - hinter den Kulissen der Geheimdienste" heißt es. Die Rache des BND folgte umgehend: Dietls Tätigkeiten für den Geheimdienst und die Namen seiner Informanten wurden öffentlich gemacht.

In diesem Punkt muss man als Leser natürlich vorsichtig sein, denn wenn ein Geheimdienst und sein ehemaliger Mitarbeiter sich in die Haare geraten, kann man weder der einen noch der anderen Partei vorbehaltlos glauben. Schließlich beruht die Existenz beider auf Selbstverleugnung. Erfolgreich sind sie nur dann, wenn sie offiziell nicht existieren - oder zumindest nicht sichtbar sind. Ein wunderbares Feld für Paranoiker. Die werden ihre Freude mit Wilhelm Dietls Buch haben. Aber auch einigermaßen normale Leser werden sich bei der Lektüre zumindest unterhalten, vorausgesetzt, sie können über den etwas ungelenken Stil hinwegsehen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Wilhelm Dietl, "Deckname Dali. Ein BND-Agent packt aus", Eichborn Verlag