Ein Mann am Scheideweg
Der Name der Welt
In "Der Name der Welt" begegnet dem Leser ein Protagonist am Scheideweg. Wie sich das Leben von Michael Reed im Kreise dreht, zwischen Erinnerung und Hoffnung schwankend, so passt Denis Johnson seine Sprache dem jeweils Erzählten an.
8. April 2017, 21:58
Die Bücher von Denis Johson gelten gemeinhin als ziemlich schwere Kost. Er sei einer, der seine Figuren schon bei Lebzeiten durchs Fegefeuer schicke, heißt es, und ein anderer Kritiker meinte, dass Johnsons Sätze wie Faustschläge seien. Liest man nun das neue Buch des amerikanischen Autors - das sieben Jahre, nachdem es im Original erschienen ist, nun auch auf Deutsch erhältlich ist - dann bestätigen sich diese Einschätzungen.
Aus den Fugen geratenes Leben
Michael Reed, Assistenzprofessor für Geschichte an einer Universität im amerikanischen Mittelwesten, erwartet nicht mehr viel vom Leben. Wie ferngesteuert unterrichtet er, trifft Leute, fährt herum. Über allem hängt die Tragödie, die sein Leben verdüstert: Vier Jahre zuvor hat er seine Frau und seine Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren. Man kennt dieses Setting von Denis Johnson. Die altbekannte Ordnung greift nicht mehr, die Existenz gerät aus den Fugen.
In "Der Name der Welt" begegnet der Leser einem Protagonisten auf dem Scheideweg. Während sich seine universitäre Laufbahn dem Ende zu neigt, tritt nach und nach eine neue Frau in sein Leben. Flower Cannon heißt sie und sie ist Performance-Künstlerin. Und langsam, ganz langsam kehrt Michael Reed wieder ins Leben zurück. Wie oft in Johnsons Romanen geschieht dies wie im Stationendrama. Reed fährt in ein Spielcasion, wo Flower als Striptease-Tänzerin arbeitet, die jeden Wettbewerb gewinnt, weil sie gewillt ist, alles zu zeigen. Er betrinkt sich und wird von einem anderen Gast niedergeschlagen.
Keine lineare Geschichte
"Der Name der Welt" ist ein schmales Buch. Gerade einmal 140 Seiten umfasst es. Es lässt sich nicht genau sagen, ob in diesem Buch viel oder weniger passiert. Will man nur die Handlung nacherzählen, dann geschieht eine Menge. Der Protagonist findet seinen Weg aus dem Trauma, er verliert seinen Job, er verliebt sich, wird Journalist, der über den ersten Golfkrieg berichtet und schließlich auf einer griechischen Insel landet. Gefühlte Handlung hingegen hat das Buch nur wenig. Das hat damit zu tun, dass Johnson seine Geschichte nicht linear erzählt und zwischen den Zeitebenen changiert.
Mehr noch aber liegt das daran, wie Johnson das Leben seines Protagonisten beschreibt. Die Nebensächlichkeiten werden breit ausgewälzt. Autofahrten, Gespräche, Dinnerpartys. Die großen Handlungsstränge aber werden mit zwei, drei Sätzen skizziert. Und ein wenig absurd muten diese Wendungen durchaus an. Die Übergänge sind abrupt. So folgt Michael Reed einmal der wilden Performance Künstlerin und landet mitten in einer Veranstaltung einer amerikanischen Freikirche. Dort passiert nichts, als dass saubere Menschen - brav in Männer und Frauen getrennt - in einer Halle im Chor singen. Die Protagonisten des Romans kommen aber nicht aus religiösen Gründen hierher. Beide sind sie vielmehr vom reinen Klang der Musik begeistert.
Grundlegende Veränderung
Zu Ende des Buches nimmt die Handlung ihre radikalste Wende. Michael Reed sitzt auf einer griechischen Insel und erinnert sich daran, wie er als Reporter im ersten Golfkrieg arbeitete.
Im folgenden Winter nahm ich einen Auftrag an, über den Golfkrieg zu berichten. Sechs Tage vor Beginn der von der UNO sanktionierten Bombardierung traf ich im saudi-arabischen Dhahran ein. Seitdem habe ich ständig neue Aufträge angenommen. Ich studiere gewissermaßen noch immer Geschichte, intensiver denn je sogar, nun, da unser Jahrhundert aus seinem Kokon geschlüpft und zu schön geworden ist, um noch untersucht zu werden, zu lebendig, um sich von ausgebrannten Intellektuellen diskutieren und ausschlachten zu lassen.
Die Person, der man am Anfang des Buches begegnet ist, hat mit jenem Reporter nicht mehr viel gemeinsam. Aus dem fast autistischen, vom Leid gelähmten Professor wurde ein Mann, der sich ins Weltgetümmel stürzt.
Alles verschwimmt
In "Der Name der Welt" kann man die Themen, die Denis Johnson umtreiben, in konzentrierter Form erleben. Das Geworfen-Sein der Menschen. Ihr Versuch, sich aus dieser Hölle zu befreien. Und man erkennt auch, wie es Denis Johnson schafft, seine Sprache dem jeweils Erzählten anzupassen.
In seinem bis dato größtem Erfolg, dem Erzählband "Jesus Son" in dem er von den Irrwegen des Junkies Fuckhead berichtet, erschafft Johnson einen unverwechselbare Sound, in dem immer wieder unvermutet Elemente von Komik aufblitzen. In "Der Name der Welt" hingegen ist die Sprache reduziert. Wie sich das Leben von Michael Reed im Kreise dreht, zwischen Erinnerung und Hoffnung schwankend, so entwickelt sich auch der Text. Heute und morgen, Hoffnung und Wirklichkeit, das Sein und das Nichts. Alles verschwimmt. Alles ist eins.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 16. November 2007, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 18. November 2007, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Denis Johnson, "Der Name der Welt", Rowohlt Verlag