Berlin im Mittelpunkt

Teil der Lösung

Als "der" Stadtroman über Berlin wurde "Teil der Lösung" vom Feuilleton gepriesen. Nicht zu Unrecht, denn Berlin ist die Hauptfigur des Romans. An weiteren Figuren präsentiert Peltzer die Studentin Nele und den sich so durchschlagenden Christian.

Was wäre Dublin ohne den "Ulysses" von Joyce? Was Wien ohne "Die Dämonen" von Doderer? Was Manhattan ohne den "Transfer" von Dos Passos - und was Berlin ohne Döblins "Alexanderplatz"? Nun: Alle diese Städte wären auch ohne die dazugehörigen Romane das, was sie sind. Es steht zu befürchten, dass sich Städte nicht allzu viel kümmern um "Stadtromane" - die Städte scheinen in aller Regel für die Autoren wichtiger zu sein als die Autoren für die Städte.

Nun also ein neuer Stadtroman, "der" Stadtroman, wie das vereinigte Feuilleton von "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über "Die Zeit" bis "Neue Zürcher Zeitung" schreibt. Hauptfigur: Berlin. Mal wieder Berlin. Berlin ist cool, Berlin ist Sehnsuchtsort, Berlin ist wichtig. Alle Welt will dort hin und niemand will weg. Trotzdem sind - komischerweise - die Mieten billig.

Völlig authentisch

"Dort hin" ist auch Ulrich Peltzer, der Autor des Romans "Teil der Lösung", und zwar vor 22 Jahren, weg ist er bisher noch nicht, und er kennt sein Berlin gut. Sehr gut. Straßennamen allenthalben, die Bars im Roman haben denselben wie in der Wirklichkeit, Neonschriften und selbst Plakate werden geortet an Häuserwänden, die es tatsächlich gibt. Ich lebe in Berlin, ich schwöre, Peltzer hat alles abgeschrieben.

Keine Karriere in Sicht

Nele und Christian sind die Hauptfiguren des Romans, die Ulrich Peltzer kennt und die wir über 450 Seiten kennenlernen. Christian ist das, was viele Kulturradiohörer unter 35 auch oft sind: akademisches Proletariat. Heißt: intelligent, belesen, theoriebeschlagen, aber: arm. Und ziemlich desperat, so etwas wie eine berufliche Karriere jemals einschlagen zu können.

Statt irgendetwas einzuschlagen schlägt sich Christian durch: als Journalist. Eigentlich ist er nicht wirklich Journalist; er hofft auf und bettelt hin und wieder um Aufträge von Lifestyle-Magazinen oder Restaurantführern, 300 Euro für fünf Manuskriptseiten, das wäre schön. Diese prekäre Lebensform des gebildeten Proletariats, das Leben direkt an der Kante zwischen Lehrstuhl und Arbeitsamt-Sessel, ist eines der Themen des Romans.

"Wie kann man mit der Schändlichkeit, die auf uns einschlägt - ich brauche nur das Fernsehen anzumachen oder bloß eine Zeitung zu lesen und stoße darauf - umgehen? Ich kann das ausblenden oder ich kann mich dem stellen", meint Ulrich Peltzer. "Nele stellt sich dem und Christian muss das erst noch lernen."

Zorniges Mädchen

Nele ist Studentin, spricht englisch, französisch, italienisch und schreibt ihre Magisterarbeit über "Jean Paul als Textkatapult". Vermutlich basierend auf Gilles Deleuze. Man liest: Sie ist hochbegabt. Sie ist schön. Und sie ist zornig. Man ahnt: Ihr Zorn ist ihr Wissen: Diese Welt ist eine Katastrophe. Nele macht keine Kompromisse. Christian, der sie kennenlernen möchte, weht der eisige Hauch ihrer Bestimmtheit entgegen: Nele kennt keine Halbheiten, weder persönlich noch beruflich.

Ihre Umwelt bekommt Neles Zorn zu spüren. Nele ist Teil einer kleinen urbanen Partisanentruppe, die mit Nadelstichaktionen den Überwachungsstaat verunsichern möchte. Sie verkleben U-Bahn-Karten-Automaten. Sie provozieren Sicherheitspersonal in Malls. Sie schwärzen Überwachungskameras.

Keine Lösung für den Einzelnen

Hier dockt ein anderer Strang der Romanhandlung an, die erzählerische Verhandlung des Themas "Aufstand" und "Terrorismus". Denn nicht nur ist Nele Partisanin, Christian recherchiert - etwas schlafmützig zwar, aber doch - eine Story über italienische Ex-Terroristen, die in Frankreich untergetaucht sind. Christian trifft einen der Terroristen am Ende des Romans in Paris, und Nele gibt den Kinderkram des Mini-Partisanenkampfes auf. Sie findet, es gäbe keine gesellschaftliche Grundlage für solches Tun, die Lösung des Problems müsse irgendwo anders liegen. Und hier wird Peltzers Roman romantisch.

"Das ist einer der Mythen der Gegenwart, dass es individuelle Lösungen gibt, dass jeder in einer vollkommen atomisierten Gesellschaft, jeder für sich sorgen könnte, und jeder für sich gleichsam das Sprungbrett finden könnte, das ihn herausführt aus den Bedrohungen des Systems", meint Peltzer. "Möglicherweise erkennen die Leute durch einen Akt der Liebe - ich sage jetzt nicht, wie das Buch ausgeht -, dass es keine individuellen Lösungen gib, sondern immer nur soziale oder gesellschaftliche Lösungen."

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 23. November 2007, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 25. November 2007, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ulrich Peltzer, "Teil der Lösung", Ammann-Verlag