Zum 50. Todestag von Beniamino Gigli
Der Großindustrielle der Stimme
Er sang in Sportstadien ebenso wie in den großen Opernhäusern der Welt. Beniamino Gigli galt als einer von vielen Kronprinzen Carusos und er war der einzige, der es an Popularität mit dem großen Neapolitaner aufnehmen konnte.
8. April 2017, 21:58
1890 in dem kleinen Städtchen Recanati in der italienischen Provinz Marken geboren, stammte Beniamino Gigli aus ärmlichsten Verhältnissen, musste schon als Kind schwere körperliche Arbeiten verrichten, sang nebenbei aber ebenso im Kinderchor der Kathedrale.
Mehr als Caruso sein
Bald schon stand sein Wunsch fest, Sänger zu werden. So zog er bereits als 16-Jähriger mit einem Bruder nach Rom, erhielt schließlich einen Freiplatz an der Accademia di Santa Cecilia und studierte dort unter so angesehenen Maestri wie Antonio Cotogni und Enrico Rosati. 1914 gewann er einen Gesangswettbewerb und debütierte in Rovigo als Enzo in Ponchiellis "La Gioconda".
Wenig später verglich man ihn bereits mit Enrico Caruso, obwohl die beiden stimmlich wie interpretatorisch nicht viel gemeinsam hatten. Und als Caruso 1921 viel zu früh starb, stand Gigli tatsächlich in der ersten Reihe potentieller Kronprinzen. Und er war schließlich der einzige, der auch mit Carusos ungeheuerer Popularität mithalten konnte, ja der zu einer gewissen Zeit dessen Breitenwirkung sogar noch übertroffen hat. Denn Gigli stand nicht nur auf der Bühne, sondern lockte durch seine Filme ein Millionenpublikum auch ins Kino, wobei ihm sein nicht gerade überschäumendes schauspielerisches Talent kaum im Wege stand.
Begnadeter Showman
Schon früh hat Gigli erkannt, worauf es im Showbusiness ankam: "Ein Sänger ist von seinem Publikum abhängig", lesen wir in seinen Erinnerungen: "Sein Publikum bezahlt, damit es ihm zuhören kann. Es gibt ihm seinen Lebensunterhalt. Dafür muss er ihm gerechterweise geben, wonach es verlangt ... das Publikum ist der Gerichtshof, an den er appelliert."
Solche Worte boten natürlich Angriffsfläche für Puristen und (manch selbsternannte) Experten. Alles was später über die "3 Tenöre" geschrieben wurde, hat Beniamino Gigli schon Jahrzehnte vorher auf sich fokussiert. Er hat in den über 40 Jahren seiner Karriere in 40 verschiedenen Ländern gesungen, in 300 Städten außerhalb Italiens und in 400 Städten und Dörfern seiner Heimat, wobei rund die Hälfte seiner Konzertauftritte reine Benefiz-Veranstaltungen gewesen sind, denn singen war für ihn nicht nur eine Geldangelegenheit, sondern auch ein Bedürfnis, eine tiefe Befriedigung: "Mein ganzes Leben habe ich es gefühlt, wenn eine Arie, eine Phrase, eine einzige, gut gesungene Note meine Zuhörerschaft ergriffen hat und mich mit ihr eins werden ließ."
Leichtfertige Nähe zu den Nazis
Leider hat Beniamino Gigli zur falschen Zeit auch in Deutschland gewirkt, so z. B. bereits 1932 im Berliner Sportpalast vor 12.000 Besuchern. Aber er hat sich später ebenso verleiten lassen, exklusiv für deutsche Soldaten zu singen, ja sogar Durchhalteparolen zu radebrechen. Doch konnte dieser im Grunde genommen völlig unpolitische Mensch mit seiner geradezu narzisstischen Einstellung zu seiner eigenen Stimme wirklich erahnen, zu wessen Handlanger er sich damit gemacht hat? Wohl kaum.
Die Vorwürfe seiner Landsleute, die ihren "Cantore del popolo" plötzlich als Verräter brandmarkten, trafen ihn daher ins Mark, schienen ihm unbegreiflich, galten die Deutschen doch in Italien lange als befreundete Nation. "Es waren nicht die Alliierten, die mich beschuldigten, sondern meine eigenen Landsleute. Monatelang wagte ich nicht auszugehen, weil meine Häuser in Rom von einer drohenden Menschenmenge belagert wurden."
Gigli wurde schließlich so etwas wie der Sündenbock der Nation, doch die italienische Mentalität schlug bald auch wieder um: Gigli gab ein großes Benefizkonzert, demonstrierte dabei eindrucksvoll seine patriotische Gesinnung und eroberte so die Herzen seiner Mitbürger rasch wieder zurück. 1953 haben ihn die Christdemokraten als Zeichen der Wiedergutmachung sogar als Parlamentskandidaten aufgestellt, doch Gigli warb mit den Worten: "Wählen sie mich nicht, lassen sie mich lieber weiter singen!"
Stimme und Stil
Wenn heute über Gigli geurteilt wird, verwechseln manche Kritiker sehr oft Stimme und Ausdrucksintensität mit dem Stil, in dem er gesungen hat, und der war selbstverständlich abhängig vom Zeitgeist. Lässt man diese Geschmacksfragen allerdings beiseite, wird man - trotz seiner sehr blumigen Formulierung - eher dem italienischen Musikologen Angelo Sguerzi zustimmen können, der einmal gemeint hat: "Nie gibt es einen Augenblick, in dem Giglis Stimme nicht weich klingt, in dem man die dahinter stehende, harte Arbeit auch nur erahnen könnte und der nicht allen Erfordernissen der Gesangstechnik gerecht würde. Seine stimmliche Beherrschung ist perfekt, ist von einer göttlichen Vollkommenheit; sein klares Timbre von himmlischer Reinheit, sein leuchtender Glanz wie das Licht der Sonne. Kurz gesagt: der in absolutem Sinn schönste Tenorklang des Jahrhunderts."
Am 30. November 1957 ist Beniamino Gigli in Rom gestorben. Bei seinem Begräbnis hat sein großer Kollege und Rivale um die Nachfolge Carusos - Giacomo Lauri-Volpi - ihm zu Ehren gesungen und später folgendes über ihn geschrieben:
Beniamino Gigli wollte den Triumph seiner Stimme und seines Namens, um jeden Preis. Er ist in einer kommerziellen Epoche der große Industrielle der Stimme und der Publicity gewesen. Mehr als Caruso zu sein, war sein großer Traum, seine Qual. Wenn Gigli sich seinem eigenen Instinkt und seinem eigenen Talent überlassen hätte, hätte er wirklich er selbst sein können, nichts als er selbst: durch die bewundernswerte Farbe seiner Mittellage, die Natürlichkeit seiner Stimmgebung, die exquisite Musikalität ... Sensibilität, Schönheit und Ausgewogenheit der Töne.
Text: Gottfried Cervenka
Übersetzungen aus dem Italienischen: Susanne Fleischmann
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 4. Dezember 2007, 15:06 Uhr