Authentisch, aber nicht akademisch

Georg Friedrich Händel in Neuaufnahmen

Während Neuaufnahmen der Opern von Verdi, Puccini und Strauss rar sind, erhält die Vivaldi- und Händel-Diskografie ständig Zulauf. Altmeister Alan Curtis und die furiose Emmanuelle Haim haben sich zuletzt kaum bekannten Titeln Händels gewidmet.

Sie heißen "Fernando", "Floridante", "Rodrigo" oder "Rodelinda", die Händel-Opern, die zuletzt in CD-Neuproduktionen veröffentlicht wurden, mit einer neuen Generation von Sängerinnen und Sängern, für die "authentisch" nichts mit "akademisch" zu tun hat: Joyce Di Donato und Nuria Rial, Simone Kermes und Lawrence Zazzo, aber auch Angelika Kirchschlager und Natalie Dessay, und geleitet von Dirigentinnen und Dirigenten wie William Christie, Emmanuelle Haim oder Alan Curtis, dem "Altmeister".

CD-Premiere "Fernando"

Es gab eine Zeit, in der war Alan Curtis nicht mehr "en vogue", neben einem René Jacobs, einem Christophe Rousset, und noch Jüngeren in der "Originalklang"-Bewegung. Jetzt bringen plötzlich zwei verschiedene Plattenfirmen, Virgin und die Deutsche Grammophon, laufend Gesamtaufnahmen von Händel-Opern unter seiner Leitung und mit seinem Complesso Barocco heraus - so, als wären die 1980er Jahre wieder da, als Curtis auch bei den Innsbrucker Festwochen das Sagen hatte.

Selten kennt man von diesen Opern mehr als den Titel, und manchmal nicht einmal diesen. "Fernando, Re di Castiglia" zum Beispiel sollte ursprünglich das Werk heißen, das dann als "Sosarme" Furore machte. Familienzwist am Portugiesischen Königshof rund um König Fernando - das war in London 1732 thematisch nicht opportun, wo doch zwischen dem britischen König George und dessen Sohn Prinz Frederick der Haussegen schief hing und das reiche Portugal ein Alliierter der Engländer war. Alan Curtis hat von diesem "Fernando" die "Ur-Version" wiederhergestellt, ist damit auf Tournee gegangen und ins Plattenstudio.

Auf der Suche nach dem idealen "Floridante"
Manchmal erzählen die Partituren von Georg Friedrich Händel nicht nur die Geschichte, die sich der Librettist hat einfallen lassen, sondern noch eine andere: Saison 1721/22. Händel beginnt mit der "Floridante"-Komposition, die ganz wichtige Rolle der Elmira - sie hat mehr zu singen als der Floridante selbst - soll von Händels Wunder-Sopranistin, der Durastanti verkörpert werden. Durastanti wird krank, wird nicht annähernd rechtzeitig aus Italien zurückkommen. Worauf die Geldgeber als Ersatz für sie … eine Altistin herbeischaffen, die in der tieferen Lage außerdem einen viel geringeren Tonumfang als die Durastanti zur Verfügung hat.

Heißt für Händel: transponieren, die Extreme abschleifen. An die davor schon geschriebenen Teile der Partitur anknüpfend hat wiederum Alan Curtis, auf der Suche nach einer Oper, wie sie sich der Komponist vorgestellt, aber nicht erlebt hat, jetzt auch den Rest von "Floridante" in den - "Idealzustand" zurückversetzt, mit einer für die Elmira auch idealen Sängerin: Joyce Di Donato.

Virtuos, tiefsinnig
Geschichten, wie Georg Friedrich Händel in seinem Londoner Ensemble Primadonnen beiderlei Geschlechts zufrieden zu stellen hatte, gibt es viele - Fernando selbst war eine Partie für den gefeierten Kastraten Senesino.

Wie phänomenal Händels Uraufführungs-Sänger meistens waren, bis hinunter ins Bass-Register, demonstrieren die virtuosen Koloraturarien. Wenn es nach Charles Burney, dem englischen Musikgeschichts-Beobachter und -Beschreiber geht, waren (auch in "Floridante") aber die langsamen Nummern die "charmantesten" - und tiefsinnigsten.

Und die Kritik am bei Händel-Opern ständig angewandten klassischen Textdichter-Rezept, das regelmäßig dynastisches und politisches Durcheinander mit Liebes- und Eifersuchts-Leidenschaften mischt, anhand derer Liebespaare und Herrscherfiguren durch die emotionale Mangel gedreht werden, verstummt.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 6. Dezember 2007, 15:06 Uhr

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