Diesmal ist alles anders
Driver
Filmische Techniken und sprachliche Präzision sind die Markenzeichen von James Sallis. Mit "Driver" legt er einen ungewohnten Sallis-Krimi vor: kein "Private Eye" als Identifikationsfigur, stattdessen knappe 150 Seiten harte Krimi-Kost.
8. April 2017, 21:58
James Sallis, Jahrgang 1944, Wohnort Phoenix, Arizona, kennt das Genre der US-amerikanischen Kriminalliteratur als Theoretiker und in der Praxis. Sallis hat in New Orleans Literaturwissenschaften studiert, er hat eine Biografie über den großartigen afroamerikanischen Krimiautor Chester Himes verfasst, er hat aber auch die Lebensläufe der hard-boiled-Archetypen David Goodis und Jim Thompson rekonstruiert.
Als Schriftsteller ist James Sallis auch hierzulande mit seinen Krimis über den Privatschnüffler Lew Griffin bekannt geworden. "Die langbeinige Fliege" hieß einer, "Nachtfalter" ein anderer - Schauplatz des Geschehens war jedes Mal New Orleans.
Ein fehlgeschlagener Coup
Mit "Driver" liegt ein neuer, gänzlich anderer Sallis-Krimi vor. Kein "private eye" als Identifikationsfigur, kein Mississippi-Delta als Lokalkolorit, stattdessen knappe 150 Seiten harte Kost zwischen Kalifornien und Arizona.
"Driver" heißt der Held, der nach einem fehlgeschlagenen Coup mit zerschossenem Arm in einem Motelzimmer am Stadtrand von Phoenix sitzt. "Driver" heißt er, weil er einer der besten Stuntfahrer von Hollywood ist. Dass er jetzt in Arizona gelandet ist und auch noch zwei Leichen im Zimmer liegen hat, das verdankt er seinem Nebenjob als Fluchtfahrer bei Raubüberfällen. Als "Driver" eins und eins zusammenzuzählen beginnt, wird ihm rasch klar, dass der "Job" von vornherein eine Falle war.
Nachdem er sich aufgerappelt und von einem pensionierten, an der Flasche hängenden Arzt zusammenflicken hat lassen, beginnt ein erbarmungsloser Rachfeldzug gegen jene italo-amerikanischen Mafiosi, die ihre Finger im Spiel haben. Das ist der lineare und nicht unbedingt originelle Handlungsfaden, der "plot" also, den James Sallis für seinen Krimi gewählt hat.
Knappe Sequenzen
Interessanter ist die Frage, was der Autor aus diesem plot macht - und das lässt sich durchaus sehen und lesen. In knappen, filmischen Sequenzen - immer wieder unterbrochen von Rückblenden - erzählt Sallis die Geschichte seines Helden: vom Waisenknaben, dessen depressive Mutter den tyrannischen Vater eines Tages beim Abendessen mit Fleisch- und Brotmesser kunstgerecht aufgeschlitzt hatte, über den autobegeisterten Jugendlichen bis zum waghalsigen Stuntfahrer in de-Niro-Filmen und Berufsverbrecher.
Ich fahre, das ist alles, was ich mache. Ich bin nicht dabei, wenn du das Ding planst. (...) Ich beteilige mich an nichts, ich kenne niemanden, ich bin unbewaffnet. Ich fahre.
Aber auch mit diesem zünftischen Berufs- und Handwerksverständnis kann es einmal daneben gehen, siehe Phoenix, Arizona.
Kompromisslose Reduktion
"Das große Umlegen" hieß einmal ein Sammelband von Detektivgeschichten Dashiell Hammetts, und von eben diesem "Umlegen" handelt Sallis' Roman - bis hin zum finalen "show-down" am Strand von Santa Monica.
Filmische Techniken, sprachliche Präzision ohne Füllsel und Floskeln - das sind die Markenzeichen von James Sallis, der dem unübersehbaren Trend zur geschwätzigen Dickleibigkeit im Genre der Kriminalliteratur das Prinzip der kompromisslosen Reduktion entgegensetzt. Dass es bei diesem Verfahren auch noch Platz für sarkastische Bemerkungen und existenzielle Erkenntnisse gibt, macht die Sache nur noch bemerkenswerter.
"Wenn wir in unserem Leben einen oder zwei davon haben", lässt Sallis den abgehalfterten Unterweltarzt, der Drivers Arm versorgt, sinnieren, "nur einen oder zwei lichte Augenblicke, dann haben wir richtig Glück. Die meisten haben sie nicht."
Dezente literarische Verweise
Selbstverständlich spielt der Krimi-Experte und Literaturwissenschaftler James Sallis in seinem Roman auch mit literarischen Verweisen und Verknüpfungen. Er tut es aber auf eine dezente Art, wenn er etwa den phantastischen Meister Borges einfügt oder ein Gedicht von Robert Creeley dem kriminellen Geschehen voranstellt.
Gewidmet hat er "Driver" übrigens den drei Altvorderen des modernen "hard-boiled"-Krimis: dem jüngst verstorbenen Ed McBain und den lebenden Autorenkollegen Donald Westlake und Lawrence Block. Erinnern aber tun Handlung und Ausführung am stärksten an den legendären Jim Thompson, der mit dem verfilmten "Getaway" und einer Reihe anderer böser Kriminalgeschichten das Genre vom Kopf auf die Füße, also das Verbrechen in seinen gesellschaftlichen Rahmen gestellt hat. So wie es Jahrzehnte zuvor Dashiell Hammett getan hatte.
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Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
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James Sallis, "Driver", aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Bürger, Verlag Liebeskind