Ein amerikanisches Familienporträt

East Side Story

In "East Side Story" berichtet Louis Auchincloss parabelhaft von der noblen Familie Carnochan. Dem Clan geht es vor allem um eines: um Geld. Anhand von zwölf Porträts handelt Auchincloss die amerikanische Geschichte von 1850 bis heute ab.

Es gibt zurzeit wohl nichts, das die Menschen so interessiert wie das Leben der Reichen, Berühmten und Schönen. Unzählige Print- und Fernsehformate leben davon, von den Eskapaden der High Society zu berichten, und selbst seriöse Blätter kommen nicht umhin, den neuesten Tratsch von Paris Hilton, Lindsay Lohan und Pete Doherty zu rapportieren. Die Literatur kann sich diesem Wunsch der Masse, Einblick in vermeintlich ganz andere, schönere, glamourösere Leben zu nehmen nicht entziehen.

Louis Stanton Auchincloss ist einer, der sich auskennt im amerikanischen Geldadel. 1917 in eine reiche Familie hineingeboren, besuchte er die besten Schulen des Landes und studierte Jura in Yale. Weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er denn nun Autor oder Anwalt werden wolle, wurde er ganz einfach beides. Er arbeitete bis 1986 in einer großen Wall-Street-Sozietät und publizierte um die 60 Werke - Romane, Short Story-Bände, Biografien und Essays.

Mitte des 19. Jahrhunderts eingewandert

Dem nun auf Deutsch vorliegenden Roman "East Side Story" kann man ohneweiters autobiografische Züge unterstellen. Auchincloss berichtet darin parabelhaft von der noblen Familie Carnochan. Deren Urahn David wanderte Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA aus und schon bei ihm zeigt sich, dass es dem Clan vor allem um eines geht: um das Anhäufen von Geld. Die schönen Künste, Muße, das Genießen der Existenz - mit einem Wort, "Lebenskunst" -, all das ist den Familienmitgliedern fremd.

Anhand von 12 Porträts zeichnet der Autor den Werdegang der Familie Carnochan nach. Der Roman beginnt mit Peter, dem Sohn des schottischen Einwanderers, der anlässlich des 75. Jahrestags der Ankunft des Urahns die frühe Geschichte aufzeichnet, und endet mit Louolou, die als letztes Mitglied Mitte der 1970er Jahre, unverheiratet und schwer krank, das Leben und Wirken des Clans zusammenfasst. Nichts aus der amerikanischen Geschichte fehlt in diesem Roman. Der Bürgerkrieg und die Sklavenbefreiung hallen hier ebenso wider, wie die Weltkriege, die wirtschaftliche Depression und der Vietnamkrieg.

Zwölf Personen auf 300 Seiten

Auchincloss zeigt die Spiele und die Verstellungen, den Wahn und die über Jahrhunderte in Fleisch und Blut übergegangene Überzeugung, dass Geld das einzige ist, wofür es sich zu leben lohnt, aber Auchincloss fehlt der erbarmungslose Blick anderer amerikanischer Autoren. Er führt die Figuren nicht vor, er beschreibt in seinen Protagonisten nicht den Abgrund. Das ist sympathisch, hat aber den Effekt, dass der Leser weniger Menschen aus Fleisch und Blut begegnet, als vielmehr Figuren, die prototypisch für eine bestimmte Zeit stehen.

Auf nicht einmal 300 Seiten beschreibt der Autor Lebensstationen von zwölf verschiedenen Personen. Da bleibt nicht viel Platz, um die Menschen einzuführen, ihr Tun und Handeln nachvollziehbar zu machen. Der Leser wird in eine Epoche hineingeworfen, lernt kurz einen Vertreter der Carnochans kennen, und schon ist die Episode wieder vorbei. Diese Geradlinigkeit lässt die Geschichte der Familie seltsam starr erscheinen. Dazu kommt, dass Auchincloss eine Familie beschreibt, von der es heißt, sie hätte weder Versager noch schwarze Schafte hervorgebracht. Es fehlt also alles, was man sonst von Dynastieromanen gewohnt ist.

Nur nichts aufs Spiel setzen

Nach Lektüre von "East Side Story" ist man versucht zu sagen, dass es kein Zufall sein kann, dass Auchincloss im deutschsprachigen Raum ein Unbekannter ist und es mit großer Wahrscheinlichkeit auch bleiben wird, denn sein Versuch, die Geschichte der Familie mit der Geschichte der Vereinigten Staaten kurzzuschließen, misslingt. Als Leser hat man das Gefühl, als würde der Autor eine Liste abhaken. Bürgerkrieg, erledigt, Die Depression der 1930er Jahre, erledigt. Vietnamkrieg, auch erledigt.

Und dann ist da noch Auchincloss' Stil. Kann man in einem Roman, der nicht von Rosamund Pilcher geschrieben ist, einen Helden so in die Geschichte einführen?

Seine Förmlichkeit hätte abschreckend wirken können, wäre sie nicht durch menschliche Wärme und unübersehbare Aufrichtigkeit gemildert worden.

Reich, jung, schön, mit menschlicher Wärme und unübersehbarer Aufrichtigkeit ausgestattet, so sollen Märchenprinzen sein. Und wie reagiert die junge Dame auf den Mann?

Fast kam es ihr vor, als könne sie das Brechen ihres Herzens hören. Sollten die Pforten ihres Lebens genau in diesem Augenblick ins Schloss fallen, in dem sie sich zu öffnen schienen?

Neben den handwerklichen Mängeln besteht das Grundübel von "East Side Story" darin, dass Auchincloss über die soziale Schicht schreibt, der er entstammt, ohne aber diese kritisch zu hinterfragen. Hier ist ein Autor, der nichts aufs Spiel setzen will, der penibel darauf achtet, die Reichen und Einflussreichen nicht zu verschrecken. Für den Anwalt Auchincloss mag das der richtige Weg gewesen sein. Für einen Autor, der mehr sein will als ein Geschichtenerzähler, kann diese Strategie hingegen nicht aufgehen.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 21. Dezember 2007, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 23. Dezember 2007, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Louis Auchincloss, "East Side Story", aus dem Englischen übersetzt von Karl A. Klewer, Dumont Verlag