Philosophische Grübeleien über einen vagen Begriff
Eine Reise durch die Unendlichkeit
Nachdem Hippasos von Metapont behauptet hatte, dass die Wurzel aus Zwei eine unendliche Dezimalzahl zwischen Eins und Zwei war, stießen ihn die Pythagoräer ins Meer. Die Geistesgeschichte der Unendlichkeit hatte ihren ersten Märtyrer gefunden.
8. April 2017, 21:58
Das Wort der Griechen für das Unendliche war "Apeiron". Wörtlich übersetzt heißt es "das Grenzenlose", allerdings ist mit dem Ausdruck auch "das Unbestimmte" gemeint. Von Anfang scheint also klar, dass die philosophische Beschäftigung mit der Unendlichkeit immer auch auf das Vage hinausläuft.
Aus dem Unbestimmten, Grenzenlosen
Das "Apeiron" taucht zum ersten Mal in der ionischen Naturphilosophie auf. 150 Jahre vor Sokrates spekuliert Anaximander über den "Urstoff" des Seins. Der antike Philosoph gilt als Vater der wissenschaftlichen Geografie, weil er als erster eine Karte von der bewohnten Erde zeichnet.
Nach Anaximander ist die Erde, die der Philosoph sich zylinderförmig ausmalt, durch einen Wirbelsturm aus dem "Apeiron" entstanden. Die Behauptung Thales, irgendein Element - Erde, Luft, Feuer und Wasser - sei der Ursprung aller anderen, hält Anaximander für töricht. Aus dessen "Urstoff" macht der Philosoph kurzerhand sein "Apeiron": Die Welt entstand aus dem Unbestimmten, Grenzenlosen und Unendlichen.
Prominent diskutiert wird das Problem der Unendlichkeit anschließend in der Metaphysik des Aristoteles. Aristoteles stellt sich die Frage:
Kann man dem Unendlichen überhaupt eine Seinsqualität zuschreiben? Existiert es tatsächlich in der Realität?
Die potentielle Unendlichkeit
Aristoteles schaut sich in acht Kugelschalen seines endlichen Universums um und findet das "Apeiron" nicht. Nicht in den Sandkörnern an den Meeresufern, nicht in den Sternen am Himmel. Hätte er genug Zeit, um sie abzuzählen, meint Aristoteles, käme er irgendwann einmal zum letzten Sandkorn, zum letzten Stern
Und so postuliert Aristoteles: es gibt die Unendlichkeit nur der Möglichkeit nach, nur als Gedankenkonstrukt im Kopf. Er nennt das die "potentielle Unendlichkeit". In der Realität - "aktual" wie sich Aristoteles ausdrückt - sei die Unendlichkeit außer Betracht zu lassen. Über dieses duale Konzept des Aristoteles wird bis heute heftig debattiert.
Mit der Idee vom Unendlichen verschärft sich für die Philosophen ein Problem, das man als den "regressus ad infinitum" bezeichnet. Der nach letzten Begründungen suchende Mensch findet keinen Boden unter den Füßen und versinkt im Treibsand der Warum-Fragen?
Trost oder Fluch?
Wieso kann der endliche Mensch die Unendlichkeit überhaupt denken? Eine zentrale Frage für den Philosophen. Rene Descartes sieht in diesem Vermögen einen Beweis für die Existenz Gottes.
Ob es ein Trost oder ein Fluch ist, dass der endliche Mensch die Unendlichkeit denken kann, versucht Friedrich Hegel in seiner Religionsphilosophie durch eine Interpretation der Sündefall-Geschichte zu beantworten.
Adam und Eva werden, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, aus dem Paradies verbannt, bevor sie vom Baum des Lebens kosten können. Hegel leitet von dieser Bibelgeschichte den unendlichen Geist ab, der ein Trost für den Menschen ist. Dieser unendliche Geist erinnert ihn aber ständig an seinen endlichen Körper, was wiederum der Fluch des Menschen ist.
Unendlichkeit und Unsterblichkeit
Unendlichkeitskonzepte sind philosophisch eng mit Unsterblichkeitsvorstellungen verbunden, sagt der Wiener Philosoph Konrad Liessmann. Prominentes Beispiel: die in der christlich geprägten Philosophie entwickelte These vom sterblichen, also endlichen Körper und der unsterblichen, also unendlichen Seele. Sie funktioniert aber nur innerhalb einer linear verstreichenden Lebenszeit.
Von der sprachanalytischen Philosophie her gesehen kann der Sinn von Endlich- oder Unendlichkeit nicht direkt angegeben werden. "Endlich" und "Unendlich" definieren sich gegenseitig, die Begriffe sind sprachlogisch wie zwei siamesische Zwillinge miteinander verwachsen.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 24. Dezember 2007, 9:05 Uhr