Berühmt durch eine Schlacht
Das Rätsel um Noreia
Die antike Stadt Noreia war die Hauptstadt des Königreichs Noricum. In den 1920er Jahren wurden die angeblichen Reste der Stadt in der Steiermark in St. Margarethen am Silberberg entdeckt. Über den Fund gibt es bis heute erhebliche Zweifel.
8. April 2017, 21:58
Es war eine wissenschaftliche Sensation, über die Zeitungen im Jahr 1929 berichtet haben. Bei archäologischen Grabungen in der Steiermark wurde ein sagenhafter Fund gemacht. Der steirische Landesarchäologe Walter Schmid hatte die Überreste des antiken Noreia entdeckt, jener sagenumwobenen Stadt der Germanen, die in der Römerzeit untergegangen war und nach der über Jahrzehnte intensiv gesucht wurde.
Die germanische Wiege Österreichs
Berühmt wurde Noreia durch eine Schlacht, die im Jahr 113 v. Chr. in ihrer Nähe stattgefunden hat und die in der antiken Literatur erwähnt ist. Diese Schlacht war die erste Auseinandersetzung zwischen Römern und germanischen Stämmen. Am Silberberg, in der Nähe der Kärntner Grenze, hat der Landesarchäologe mehrere Jahre lang gegraben und die Reste Noreias freigelegt.
Schon bald hat sich am Silberberg ein "Noreia-Kult" entwickelt. Schließlich war man die "germanische Wiege" Österreichs. Ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend waren die Bewohner stolz, einen antiken Ort der Germanen vorzeigen zu können. Wissenschaft und Politik zeigte sich an Noreia höchst interessiert. Und der Ort, der sich dort befindet, wo das antike Noreia gelegen ist, hat den Namen Noreia bekommen.
Zweifel an der Echtheit des Fundes
Erhebliche Zweifel von anderen Archäologen sind bereits zu Lebzeiten von Walter Schmid erhoben worden. Schließlich hat Schmid die Funde nie wissenschaftlich publiziert. Im Laufe der Jahre haben sich die Zweifel verdichtet, bis klar war: der Fund des antiken Noreia war eine Fälschung. Was ausgegraben wurde, waren Reste einer mittelalterlichen Siedlung am Silberberg. Der Traum vom Auffinden des versunkenen Noreias war geplatzt.
Heute sind sich die Wissenschafter - Archäologen und Historiker - einig, dass die Funde am Silberberg nichts mit Noreia zu tun haben können. Wo das antike Noreia wirklich gelegen ist, weiß man nicht. Aus den antiken Quellen kann man ungefähr schließen, wo man Noreia suchen muss. Wahrscheinlich irgendwo in Mittelkärnten, sagen die meisten. Doch wo genau, kann niemand sagen.
Bei den zahlreichen Theorien gehen die Meinungen der Experten bereits erheblich auseinander. Eine konsequente Suche nach den Resten von Noreia ist aufgrund der spärlichen Angaben in den antiken Quellen unmöglich. Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Stadt, Straßenkreuzung oder Gebietsbezeichnung?
Die aktuelle Noreia-Forschung geht mehrheitlich von einer befestigten Stadt aus, nach der man sucht. Über drei Kilometer Durchmesser soll die antike Stadt Noreia, die Hauptstadt des Königreichs Noricum, gehabt haben. Es soll eine bedeutende und wohlhabende Stadt gewesen sein, wahrscheinlich hauptsächlich aus Holzhäusern bestehend, wo Bergleute, Handwerker und Bauern gelebt haben sollen. In der Umgebung der Stadt soll es Bergbau gegeben haben. Mehr ist nicht bekannt.
Aber: sucht man wirklich nach einer Stadt? Selbst das wird von manchen Wissenschaftern in Frage gestellt. Manche glauben, dass Noreia ein großes Heiligtum war. Oder eine Straßenkreuzung oder eine Gebietsbezeichnung. So wird die Suche nach dem versunkenen Noreia wohl noch lange die Wissenschaft beschäftigen.
Veränderte Dorfgeschichte
Im Dorf St. Margarethen jedoch ist Noreia noch allgegenwärtig. Der Abschied von der angeblichen antiken Stadt, die sich unter dem Dorf befunden haben soll, ist noch nicht von allen vollzogen worden. Viele halten an ihrem Traum fest, über der früheren keltischen Siedlung zu leben.
Die fiktive Keltensiedlung jedenfalls hat die ins Mittelalter zurückreichende Dorfgeschichte von St. Margarethen verdrängt. Nun versucht eine junge Historikerin, einerseits der Geschichte der Grabungen, und andererseits die dadurch veränderte Dorfkultur in Noreia - St. Margarethen nachzuzeichnen.
Service
Buch, Haas-Trummer, Karin Erika, "Noreia - von der fiktiven Keltensiedlung zum mittelalterlichen Adelssitz. Eine historische und archäologische Spurensuche bis 1600", Böhlau-Verlag