Stadtporträt Jerusalem

Die Stadt an der Mauer

Jerusalem ist ein architektonischer Fleckerlteppich. Mithilfe von Papier und Bleistift entwirft Michael Schrott einen Stadtplan. Die Sehenswürdigkeiten der geteilten Stadt werden bei diesem eigenwilligen Rundgang natürlich berücksichtigt.

Ich hoffe, Papier und Bleistift liegen bereit, Sie könnten sonst den Überblick in Fleckerlteppich-City verlieren. Also.

In die Mitte des Blattes malen Sie ein kleines Quadrat, so 1 x 1 cm, das ist die Altstadt, das historische Jerusalem mit dem arabischen Felsendom, der Al Aqsa-Moschee, der christlichen Grabeskirche und der jüdischen Klagemauer.

Etwa einen Zentimeter links von diesem Quadrat ziehen sie eine senkrechte Linie. Das ist die Grenze zwischen Westjerusalem links dieser Linie und Ostjerusalem rechts der Linie. Das war bis 1967 die green line, Israel links, Jordanien rechts. Nach internationalem Recht eine bis heute gültige Grenze.

Symmetrisch zum Quadrat malen wir jetzt gegenüber in die linke Hälfte einen kleinen Kreis, das ist die moderne Innenstadt mit der Jaffa-Street als zentraler Einkaufsstraße, mit Fußgängerzonen und mit den Palazzi der 1900er-Wende, der russischen Kirche, dem Polski Dom, dem italienischen Krankenhaus, das aussieht wie der Palazzo Vecchio in Florenz, mit Straßencafes für die Jeunesse doree und den üblichen Läden einer westlichen Stadt.

Über den kleinen Kreis malen wir jetzt einen zweiten. Das ist das ärmliche Mea Shearim, das Viertel der ultraorthodoxen Juden.

Der Rest von Westjerusalem ist ein zerrissenes städtisches Gebilde mit viel Grünland oder steinigem Brachland zwischen den Siedlungsblöcken. Kein angenehm urbanes Areal für den Fußgänger, weil man nicht gern entlang von Hochleistungsstraßen spaziert und außerdem, weil es in der ganzen Stadt kein ebenes Fleckchen gibt, immer geht es bergauf oder bergab, ein ewiges Gemugel.

Jetzt bewegen Sie ihren Bleistift bitte nach rechts. Machen Sie oberhalb des Quadrats einen kleinen Kreis – das ist das Zentrum der palästinensischen Stadt mit der Haupteinkaufsstraße Salakh E-Din.

Und rechts von Quadrat und Kreis malen wir bunt gemischt kleine Kringel und kleine Xerln, sagen wir so je sechs Kringel und Xerl, wild durcheinander. Die Kringel sind die arabischen Vororte von Ostjerusalem. Die Xerln sind die illegalen israelischen Siedlungen.

Und nun ziehen sie bitte eine Linie von oben nach unten, so dass die Xerln alle links dieser Linie liegen und die Kringel alle rechts dieser Linie. Ja, dieser Strich meandert ordentlich, der muss viele Kurven machen. Dieser Strich ist die Mauer, an der Jerusalem seit neuestem liegt.

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Diagonal, Samstag, 10. Mai 2008, 17:05 Uhr

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Wikipedia - Jerusalem