Auf der Suche
Fast eine Weihnachtsgeschichte
Eines leuchtete mir schon als Kind nicht ein: wenn Leute Argumente für oder wider die Existenz eines Gottes vorbrachten und nach Beweisen suchten. Denn wenn es jemand wissen würde, hieße das Wort "Wisse" und nicht "Glaube". Oder?
8. April 2017, 21:58
Es war dunkel. Ich bin den kurzen Weg von unserem Haus zum Haus der Großtante, die am selben Grundstück nur 150 Meter weiter wohnte, gerannt. Sobald es dunkel wurde, erwartete ich mit einer Mischung aus Gefasstheit und Panik, dass mir die heilige Maria erscheinen würde.
Zu glauben ist eine bewusste Entscheidung, hat mir einmal jemand gesagt. Ich glaube nicht, dass man sich das aussuchen kann. Vorsätzlich glauben wollen und es auch tatsächlich tun, muss nicht zusammengehen.
Lange habe ich versucht, zu glauben. Mit 15 verbrachte ich einen Sommer lang bei einer ehemaligen Schulfreundin meiner Mutter. Sie lebte mit Mann und sieben Kindern etwas abgelegen am Land. Vor den Mahlzeiten wurde gebetet, regelmäßig wurden Pfarraktivitäten mitgestaltet und besprochen, sie lebten bescheiden und alle unterlagen der Oberhoheit des Vaters.
"Wie vom Teufel g'schrieben", kommentierte die gleichaltrige Ulrike die Aufklärungsseite der Zeitschrift "Mädchen". Ich begann mir Sorgen um meine ferne Zukunft zu machen, die ganz ferne Zukunft nach dem Tod. In der Nacht tauchte Maria als leuchtend blaue Gestalt in meinen Träumen auf und ich erwachte jedes Mal schweißgebadet. Rettung aus dem drohenden Fegefeuer versprachen die Brigitta-Gebete. Ellenlange Verse sollten ein Jahr lang täglich gesprochen werden. Geglaubt habe ich nicht, aber Angst gehabt.
Drei Monate habe ich die Beterei uninspiriert durchgehalten. Zum Glück ist das Fegefeuer abgeschafft, und ich bin inzwischen evangelisch.
Heute glaube ich noch immer nicht, aber ich suche weiter. Dabei ist es nicht mehr wichtig, ob ich jemals glauben werde. Kirchen aber mag ich noch immer. Als kleines Mädchen mit Kopftuch (ja, Kopftuch!) liebte ich die Lieder von der Ehre Gottes und Maria, die als Meerstern gegrüßt wurde und wahrscheinlich wie ein blauer Seestern aussah. Und die Hostien, die ich so lange am Gaumen kleben lassen konnte, bis die Messe aus war. Die Angst vor Strafen ist irgendwann vergangen, sie ist einer einfachen Dankbarkeit gewichen, die ich verspüre, sobald ich eine Kirche betrete. Verbunden mit ein bisschen Wehmut, weil viele nicht mehr da sind, weil das Leben von damals für immer vorbei ist. Auch wenn es heute um vieles besser ist.
Einmal war ich dann übrigens doch überzeugt, Maria gesehen zu haben. Als ich an einem Winterabend mit meinen Eltern im Auto fuhr. Auf einer unbeleuchteten Bundesstraße. Es lag Schnee, kilometerweit war nichts außer uns und der Straße. Irgendwann erkannte ich am Rand der Straße eine Figur. Eine Fußgängerin, die an diesem kalten Abend irgendwohin ging. Sie kam uns entgegen, und als die Scheinwerfer die Frau beleuchteten, erkannte ich, dass sie einen dunklen Mantel und ein Kopftuch trug. Es bedeckte beinahe das ganze Gesicht und ließ nur die Augen und die Nase frei. Einen Moment lang sah die junge Frau in das Licht und nur so und nicht anders konnte die heilige Maria ausgesehen haben. Das wusste ich einfach. Und fürchtete mich nicht mehr.
Buch-Tipp
Agota Bozai, "Irren ist göttlich", Verlag Kremayr & Scheriau