Landbevölkerung zieht in Großstädte

Indien zwischen Börsenboom und Massenelend

Indiens Wirtschaft wächst zum fünften Mal hintereinander. Der Wirtschaftsboom vernebelt aber den Blick auf die Probleme. Armut, fehlende Infrastruktur und erhebliche Mängel im Bildungssystem treiben die Landbevölkerung massenhaft in die Großstädte.

"Es gibt zwei Indien"

Indiens Wirtschaft wächst zum fünften Mal hintereinander; in den vergangenen Jahren im Schnitt um fast neun Prozent. Der Wirtschaftsboom flaut noch lange nicht ab. Für heuer werden sogar zehn Prozent erwartet. Ein neuer Mittelstand hat sich gebildet, der auf 300 Millionen Menschen geschätzt wird.

Trotzdem: Erst acht von 1.000 Indern haben ein eigenes Auto. Bei dieser Marktsituation kein Wunder, dass das weltweit billigste Auto aus Indien kommen wird. Es soll weniger als 2.000 Euro kosten, hergestellt vom indischen Autobauer Tata. Einer der gefeierten Börsenstars Indiens.

Schere zwischen Arm und Reich

Die Börse in Mumbai jagt von einem Rekordhoch zum nächsten. Ein Wirtschaftswunder. Aber die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Der Staat kürzt die Ausgaben für Gesundheit und Bildung. Einem Viertel der Bevölkerung geht es besser, seit sich Indiens Wirtschaft öffnet, drei Viertel der Menschen geht es aber schlechter.

Dass eigentlich für Kinder bis 14 Jahre Schulpflicht besteht, scheint die Lehrer wenig zu stören. Sie erscheinen oft nicht einmal in der Klasse. Und ein Kind, das zehn Rupien, umgerechnet 17 Cent pro Tag, verdient, ist mehr wert als die Schulausbildung. Die Regierung investiert kaum in den ländlichen Raum, so die Kritik.

Massenelend in den Städten

Zigtausende flüchten in die Städte. Dort aber ist das Massenelend unübersehbar. In Delhi und Mumbai leben zigtausende Menschen nicht einmal in Slumhütten, sondern wohnen direkt am Gehsteig. Gleichzeitig verschärft sich die Situation in den Dörfern.

Geschätzte 112.000 Bauern haben sich in den vergangenen Jahren umgebracht. Auswirkungen einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Agrarpolitik. Das teure Saatgut muss jedes Jahr neu gekauft werden. Das können sich die Kleinbauern nicht leisten und müssen Kredite aufnehmen. Wenn die Ernte schlecht ausfällt, können die Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden.

241 Milliarden Euro für Infrastruktur

Dennoch: Ausländische Investoren stehen in Indien Schlange. Die Regierung muss die marode Infrastruktur verbessern. Die indische Planungskommission schätzt, dass für Infrastruktur 241 Milliarden Euro bis zum Jahr 2012 investiert werden müssen. Allein für den Bau von mehr 15.000 Kilometer Schnellstraßen sollen bis März 2008 fast 240 Aufträge in Höhe von insgesamt 18,2 Milliarden Dollar vergeben werden. Dazu kommen noch Aufträge zur Sanierung des Kanalsystems und der Eisenbahnstrecken.

Laut einer Studie der Deutschen Bank wird Indien bis zum Jahr 2020 das stärkste Wachstum von 34 untersuchten Staaten erreichen. Als Begründung verweist die Bank auf die günstige Altersstruktur der wachsenden Bevölkerung.

Wachstum stößt an Grenzen
Bis 2030 dürfte die indische Bevölkerung nach einer UNO-Prognose auf eineinhalb Milliarden Menschen wachsen. Die Regierung plant jedenfalls das Wachstum langfristig über neun Prozent zu halten. Außerdem soll der Boom das hohe Haushaltsdefizit reduzieren.

Einige Experten warnen aber, das Wachstum stoße bereits an seine Grenzen - die Infrastruktur sei überlastet. Die Notenbank dürfte angesichts einer Inflationsrate von mehr als sechs Prozent daher die Bremse anziehen.

Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 11. Jänner 2008, 09:45 Uhr

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