Proben für die Silvestergala

Othello in Klagenfurt

Der Kärntner Fußball ist in der Krise, das Kärntner Theater ist in der Krise, Komatrinken ist in der Krise. Das Jahr geht zu Ende, die Krisen gehen nirgendwohin. Da hilft nur Shakespeare. Vielleicht. Man wird sehen.

Regisseur: Erster Akt, erste Szene. Venedig, Straße. Es treten auf Rodrigo und Jago. Letzterer, ein Fähnrich des dunkelhäutigen Feldherrn Othello, hat bei der Ernennung zum Leutnant den Kürzeren gezogen und ist auf seinen Vorgesetzten zornig. Und geht schon!

Rodrigo: Sag mir nur nichts, denn damit kränkst du mich, dass Jago, du, der meine Börse führte, als wär' sie dein, die Sache schon gewusst.

Regisseur: Jago, du bist dran!

Jago: Liebe Leute, schon der erste Satz ist unverständlich! Der Vorhang geht auf und er raunt mir diesen Unsinn zu. Wenn ich jetzt so tue, als verstünde ich ihn, lacht mich das Publikum aus.

Regisseur: Was soll das, bin ich Shakespeare? So steht's da und so wird's gespielt. Also, mach weiter!

Jago: Womit? Ich soll jetzt laut Text sagen: Ihr hört ja nicht! Hab ich mir je davon was träumen lassen – verabscheut mich! Das versteh ich noch weniger. Ich dachte, Jago ist böse. Er weiß aber bloß nicht, was er sagt, scheint mir.

Regisseur: In zwei Wochen ist Silvester, Jago, da will ganz Klagenfurt den "Othello" sehen. Und du kommst über den ersten Satz nicht hinaus!

Rodrigo: Na ja, ganz Klagenfurt? FC Kärnten gegen Cashpoint Altach hat mehr Zuschauer.

Regisseur: Wie viele?

Rodrigo: Hundert, denke ich. Neunzig davon in der VIP-Lounge. Der Rest hat Seniorenbonus.

Regisseur: Was diskutiere ich überhaupt mit euch beiden! Also, Jago, mach schon!

Jago: Überhaupt, Silvester in Klagenfurt. Das ist die eigentliche Tragödie! Das Ende eines Jahres geht nahtlos in den Anfang eines neuen über, da passt kein Blatt Papier dazwischen, versteht ihr? Die Zeit ist ein Hund, sie rastet nicht, sie versiegt nicht. Sie ist immer. Selbst hier, in diesem Kaff irgendwo zwischen Moldawien und Nigeria.

Regisseur: Ja spinn ich...?

Rodrigo: Aber dann, Jago, ist es doch sinnlos zu fragen, was man mit seiner Zeit anfängt. Denn die Zeit gehört nicht mir, sondern ich gehöre der Zeit, wie ihr alles gehört, was altert und stirbt.

Jago: Verachte mich, wenn's nicht so ist, Rodrigo! Und zweitens nützt es nichts, es sich in der Zeit einzurichten und so zu tun, als gelte es etwas zu erreichen. Sobald es da ist, ist es auch schon wieder vorbei. Nichts bleibt, außer dem Gefühl, immer zu spät zu kommen.

Regisseur: Och Kinder, wir werden garantiert zu spät kommen, wenn wir nicht endlich anfangen. In Klagenfurt weiß man nämlich einen guten "Othello" zu schätzen, da bin ich mir sicher. Wir sind da sozusagen mittendrin im Geschehen. Die Menschen sollen gar nicht mehr unterscheiden können, ob sie im Theater sitzen oder im Landtag. Schlagt Feuer, ho!

Jago: Ei, wir können nicht alle Herren sein, nicht kann jeder Herr getreue Diener haben. Von Zeit zu Zeit kapier ich ja doch, was der gute Mann da schreibt. Da fällt mir ein – apropos Klagenfurt – vorhin begegne ich dem Direktor dieses Etablissements, oranger Schal, wie sich's gehört, und ich frage ihn mit Rosses Worten ("Macbeth", zweiter Akt, dritte Szene): Nun, Herr, wie geht die Welt? Er antwortet: Die Welt! Die Welt! Ich zum Beispiel war hochbegabt, mein Guter. Aus mir hätte viel werden können in der Welt, aber ich hatte nicht die Zeit für all die Bücher, die ich schreiben, und die Stücke, die ich inszenieren wollte. Außerdem: Berlin: eine Schlangengrube! Mehr Gift als Zähne! Wien: Bademeister und Oberkellner! Er habe sich stattdessen dafür entschieden, sagt er, nicht mehr "ich will" zu sagen. Denn der größte Irrtum sei der Glaube an einen unabhängigen Willen. "Mein Wille", belehrt er mich, "ist abhängig von den Strukturen, in denen ich 'ich bin' sagen darf. Seit ich das erkannt habe, bin ich glücklich." Was soll man davon halten? Ist das nicht besser als Shakespeare?

Rodrigo: Ja nun, jeder definiert das Glück auf seine Weise. Schau mal, hier steht: Wär ich der Mohr, nicht möchte ich Jago sein! Wenn ich ihm diene, dien ich nur mir selbst...

Regisseur: ... der Himmel weiß es! Nicht aus Lieb und Pflicht, nein, nur zum Schein für meinen eigenen Zweck. Langsam geht euch ein Licht auf, was? Kärnten, Kinder, Kärnten. Wir sind im Reich des Mohren!

Jago: Hm. Der eine macht sich zum Büttel und legt, wenn schon nicht buchstäblich so zumindest ideell, den Bombengürtel um. Der andere versucht es mit der Einübung in den Zustand vollkommener Ichhaftigkeit. Ein Dritter rettet die Welt vor dem Klimakollaps und bekommt dafür einen Nobelpreis oder Prügel von der Polizei. Alsbald will ich mein Herz an meinem Ärmel tragen als Fraß für Krähen... Ich bin nicht, was ich bin!

Regisseur: Heureka, Jago, dein wichtigster Satz! Ich bin nicht, was ich bin! Wir sind, was wir nie sein wollten. Damit fängt ja alles an. Auch das Unheil.

Jago: Denn ungefragt kommen wir in den Genuss, diejenigen zu sein, die wir eben sind, ausgestattet mit einem Nervenkostüm, das uns umgehängt wurde, als wir noch mit unseren Müttern verkabelt waren. Wir selbst können bloß das Schlimmste abwenden, bestenfalls, sofern nämlich der Verstand einigermaßen zu gebrauchen ist. Wer bist du, frecher Lästerer?

Rodrigo: Und der könnte uns erziehungsbedingt sehr früh schon abhanden gekommen sein, was unter Garantie dem einen oder anderen von uns widerfahren ist. Ich bin einer, Herr, der euch zu melden kommt, dass Eure Tochter und der Mohr jetzt dabei sind, das Tier mit zwei Rücken zu machen!

Regisseur: Das trifft wohl eher auf den Sohn zu. Wir machen die Tochter zum Sohn, genau, Desdemona ist ein junger Mann, der dem Othello beim Komatrinken begegnet. Das ist grandios! Er greift ihm ins Weiche.

Jago: Und sonst geht's Euch gut?

Regisseur: Karntnarisch, Karntnarisch...

Rodrigo: ... dos greift aufs Gmüat...

Jago: Plötzlich verstehe ich Shakespeare! Mir gilt die Welt nur wie die Welt! Ein Schauplatz, wo man eine Rolle spielt.

Regisseur: Und meine ist traurig, jaja, das ist aber der "Kaufmann von Venedig" mein Lieber. Nein, wir spielen Kärnten in Grund und Boden. Los, los, alles auf Anfang! Erster Akt, erste Szene. Venedig, Straße. Es treten auf Rodrigo und Jago. Letzterer, ein Fähnrich des dunkelhäutigen Feldherrn Othello, hat bei der Ernennung zum Leutnant den Kürzeren gezogen und ist auf seinen Vorgesetzten zornig. Und geht schon!