Orchester-Geschichten aus Wien und Niederösterreich
Die Tonkünstler
Im eben zu Ende gegangenen Jahr feierte das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich den 100. Geburtstag des Namens "Tonkünstler". Als wichtiger Bestandteil dieses Jubiläums erschien ein Buch, das sich der Geschichte der so genannten Orchester widmet.
8. April 2017, 21:58
Dass das Tonkünstlerorchester ein bedeutender Bestandteil der österreichischen Musikkultur ist, ist unumstritten. Aber: Was ist ein Tonkünstler überhaupt? Gar nicht selten werden ja Begriffe verwendet, ohne ihre Tradition und Bedeutung genau zu kennen. Wie es etwa zum Begriff der "Philharmoniker" kam, ist ja auch nicht gerade allgemein bekannt. Allfälliger Wissensdurst über das Wort "Tonkünstler" wird mit dem nun vorliegenden Buch aber hinlänglich befriedigt.
Da steht schon in einem Konversations-Lexikon des Jahres 1878:
So wie die Musik nicht immer auch Tonkunst genannt werden kann, so verdienen auch nicht alle Musiker den Namen Tonkünstler (...). So lange die Musik nur niedern Zwecken dient, wie meist die Tanz- und Unterhaltungsmusik (...), ist sie eben nicht Tonkunst, und der Musiker, der die gleichen Zwecke verfolgt, ist kein Tonkünstler. Die höheren Ziele erst und die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten machen den Tonkünstler (...). Im anderen Falle bleibt die Musik Handwerk, die als solches ihre Berechtigung, aber nur niedere Bedeutung erhält.
Viel Prominenz
Sieben Autoren haben an diesem von Rainer Lepuschitz herausgegebenen Buch über "Die Tonkünstler" mitgewirkt. Da untersuchte etwa der Wiener Musikvereins-Archivleiter Otto Biba die Tradition von Tonkünstler-Societäten und -Vereinigungen im deutschen Sprachraum, da widmet sich Ernst Kobau, der schon zum 100-Jahr Jubiläum der Wiener Symphoniker Wesentliches zur Wiener Orchestergeschichte beigetragen hatte, in stilistisch höchst pointierter Aufbereitung der Entwicklung des Wiener Tonkünstler-Orchesters von seiner Gründung 1907 bis zum silbernen Bestandsjubiläum.
Nun, da war immerhin die Uraufführung von Schönbergs Gurre-Liedern zu verzeichnen, da war ein Wilhelm Furtwängler über vier Jahre Chefdirigent, daneben Kollegen von der Kategorie eines Bruno Walter, Otto Klemperer oder Hans Knappertsbusch tätig. Und Solisten wie Fritz Kreisler, Artur Rubinstein und Pablo Casals spielten mit dem Tonkünstler-Orchester.
Braune Vergangenheit
Ebenso interessant wie verdienstvoll ist die Beschreibung der Orchestertätigkeit während der NS-Zeit durch Philipp Stein: Ohne Scheu werden hier die verschiedenen Pseudonyme vom Richard-Wagner-Orchester bis zum Kampfbund-Orchester behandelt. Die Idee, "die echte deutsche Kunst in die fernsten Gegenden hinauszutragen" führte zur Konstitution des Gausymphonieorchesters Niederdonau, das mit eigenem Autobus quer durch Niederösterreich fuhr und zahllose Konzerte spielte, vielfach für Wehrmachtsangehörige, zum Teil in Speisesälen von Kasernen, dann auch für Arbeiter in den so genannten kriegswichtigen Betrieben wie Semperit in Traiskirchen oder Böhler in Waidhofen an der Ybbs.
Das Hinaustragen der Kunst ins ganze Land war dann auch der entscheidende Punkt bei der Neugründung, die schon im Sommer 1945 über Antrag etlicher Orchestermusiker an das Land Niederösterreich erfolgte. Die weitere Orchesterbiographie des nunmehr "Niederösterreichisches Tonkünstlerorchester" bezeichneten Klangkörpers erörtern Markus Hennerfeind, Wilhelm Sinkovicz, Walter Weidringer und " bis zur Gegenwart - Rainer Lepuschitz.
Schwachpunkte
Dem Kenner des Orchesters mag es ein wenig abgehen, dass manche wichtige und interessante Punkte kaum erörtert werden: etwa Vergleichendes mit der Tätigkeit anderer Landesorchester " was den ziemlich einzigartigen Charakter der Tonkünstler herausheben würde, oder das Thema "Frauen im Orchester", bei dem die Tonkünstler jedenfalls im ostösterreichischen Raum Vor- und Spitzenreiter waren und sind. Schade auch, dass der Anhang des Buches zwar Konzertorte, Dirigenten, Solisten und Komponisten auflistet, eine genauere Auswertung des tatsächlich gespielten Repertoires inklusive der zeitgenössischen Musik aber unterblieb.
Der Name des Orchesters hat in den letzten 15 Jahren mehrere Modifikationen und Varianten erlebt. seit vier Jahren nennt es sich Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, was nicht nur das Heimatland korrekt nennt, sondern sich auch hübsch mit der Abkürzung "TON" darstellen lässt.
Die Besinnung auf den Namen Tonkünstler brachte auch eine Besinnung auf die Geschichte dieses Namens mit sich (...). Aus der Absicht, im Jahr 2007 auf dieses historische Datum hinzuweisen, wurde (...) die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass der Name Tonkünstler für etwas Besonderes stehe - für eine orchestrale Tradition und für eine gewissenhafte und ernsthafte Auseinandersetzung mit der Musik, die als Tonkunst verstanden wird.
Hör-Tipp
Apropos Musik, Sonntag, 6. Jänner 2008, 15:06 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Rainer Lepuschitz (Hg.), "Die Tonkünstler. 100 Jahre bewegter Orchester-Geschichte", Residenz-Verlag
Link
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