Der Traum vom guten Leben - Teil 2

Die Entdeckung des Selbst

Lebensträume leiten viele Menschen. Begleitet werden sie von dem Wunsch nach Glück. Auf der Suche nach dem Traum vom guten Leben werden Ozeane überquert und Berge versetzt. Doch trotz immenser Anstrengungen stellt sich das gute Leben oft nicht ein.

Für den Wiener Psychiater und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl sind alle Unternehmungen vergebens, wenn nicht der Sinn darin gefunden wird. Doch Frankl ist optimistisch. Für ihn ist der Wille zum Sinn im Menschen tief verwurzelt. In seinem Buch "Das Leiden am sinnlosen Leben" setzt Frankl voraus, dass jeder Mensch in seinem Dasein um bestmögliche Sinnerfüllung ringt. Er schreibt:

Ist es also nicht so, dass der Mensch eigentlich und ursprünglich darnach strebt, glücklich zu sein? Hat denn nicht selbst Kant zugegeben, dass dies der Fall sei, und nur hinzugesetzt, der Mensch solle auch danach streben, des Glücklichseins würdig zu sein? Ich würde sagen, was der Mensch wirklich will, ist letzten Endes nicht das Glücklich sein an sich, sondern ein Grund zum Glücklich sein. Sobald nämlich ein Grund zum Glücklichsein gegeben ist, stellt sich das Glück, stellt sich die Lust von selber ein.

Das Instrument, das dem Menschen in die Hand gegeben wird, um im Rahmen seiner historischen, gesellschaftlichen und individuellen Existenz sein Leben zu gestalten, ist der freie Wille. Es ist die Entscheidung des Einzelnen, wie er eine Situation meistert.

Balance des Wagenlenkers

Frei zu entscheiden ist aber nur dann möglich, wenn man über seine Gefühle und Reaktionen Bescheid weiß und damit umgehen kann. Ein Phänomen, dem sich bereits der griechische Philosoph Platon widmete. Er beschreibt das Selbst oder die Seele als einen Wagen, der von dem ruhigen, rationalen Teil des Geistes gelenkt wird. Platons Wagenlenker muss jedoch zwei Pferde im Zaum halten.

Platon unterscheidet zwischen erstrebenswerten Emotionen wie Ehrliebe oder Schamhaftigkeit und den Emotionen, die kontrolliert werden sollen: wie Begierden und Lüste. Das Ziel der Erziehung, so Platon, sei es, dem Wagenlenker zu helfen, beide Pferde vollkommen unter Kontrolle zu bringen. Diese Metapher vom Wagenlenker und seinen Pferden benutzte Sigmund Freud, um sein Modell des menschlichen Geistes vom ES, Ich und Über-Ich zu veranschaulichen. Denn für ihn illustrierten die Pferde die unbewussten Kräfte im Menschen, und zwar sowohl die triebhaften, die er als ES bezeichnet, als auch die gesellschaftlichen Gebote und Normen, die Freud als Über-Ich beschreibt. Dominiert eine der beiden Kräfte, dann verliert der Mensch seine innere Balance.

Das Selbst als Ressource

In der psychotherapeutischen Arbeit werden Lebensträume selten formuliert, meint die Psychologin und Therapeutin Berta Pixner vom Kaiser Franz Josef Spital in Wien. Denn der Leidensdruck ihrer Patienten sei so groß, dass nur Fragmente der Persönlichkeit sichtbar werden. Die Arbeit des Therapeuten ist es, gemeinsam mit dem Klienten herauszufinden, wo die Ursache seines Leidens liegt.

Der vom Therapeuten begleitete Tagtraum ist eine Technik, die in der sogenannten Katathym-Imaginativen Psychotherapie angewandt wird. Der Therapeut führt den Klienten gezielt in Situationen, und hilft ihm, diese zu meistern. Der Aktionsraum des Tagtraumes ist die Phantasie, das Instrumentarium sind symbolische Handlungen.

Nachttraum und Tagtraum bieten in der therapeutischen Arbeit das Material, um die Entdeckungsreise zum sogenannten "Selbst" eines Menschen anzutreten. Es ist jener Bereich der menschlichen Existenz, den Platon als Wagen beschrieb. Es ist der Kern, die Persönlichkeit jenseits gesellschaftlicher Überformungen und emotionaler Getriebenheiten.

Reflexion über die Individualität

Für den amerikanischen Soziologen Eli Zaretsky ist die Entdeckung der Individualität das zentrale Thema des 20. Jahrhunderts. Parallel zur Massenkultur, die sich mit der zweiten Industriellen Revolution entwickelte, trat Freud mit seinem Konzept der Psychoanalyse in das Rampenlicht des öffentlichen Bewusstseins.

Eli Zaretsky meint: "Im Zentrum dieses modernen Projektes steht nicht so sehr die Individualität als Kraft - sondern die Reflexion über die Individualität. Es ist die Möglichkeit des Einzelnen darüber nachzudenken: wer er ist, was er möchte. Es ist die Möglichkeit, seine Ziele zu definieren. Daraus entwickelt sich auch ein neues Bewusstsein dem gegenüber, was man Kollektiv nennt. Freud stellt diese Fragen in das Zentrum seines Interesses. Er ist kein Advokat von Ideen wie: Autonomie oder Demokratie und Frauenemanzipation. Freud ist in diesem Sinne keine politische Figur. Doch er bestärkt das Element der Selbstreflexion, und das verändert auch die Ziele der Menschen im 20. Jahrhundert."

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Radiokolleg, Montag, 7. Jänner bis Donnerstag, 10. Jänner 2008, 9:05 Uhr