Kontroverse im Feuilleton
Raoul Schrotts Thesen zu Homer
Drei Monate vor ihrem Erscheinen als Buch haben die Thesen von Raoul Schrott zur Herkunft Homers und zur Lage Trojas eine heiße Diskussion in den deutschen Feuilletons ausgelöst, die nun mit einem Artikel in der "Presse" nach Österreich geschwappt ist.
8. April 2017, 21:58
Raoul Schrott hat in seinem neuen Buch nicht nur Homers "Ilias" in neue Worte gekleidet, sondern in einem vierseitigen Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vor Weihnachten vorab "Homers Geheimnis gelüftet", wie die "FAZ" titelte: Der Dichter von "Ilias" und "Odyssee" sei in der heutigen Südtürkei beheimatet gewesen, so Schrotts These.
Ungelöste Fragen der Forschung
Homer, in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor Christus Verfasser des frühesten Zeugnisses griechischer Dichtung, gilt gemeinhin der Legende nach als blinder Sänger aus einer der griechischen Kolonien im Westen Kleinasiens - oder aber auch als künstliche Dichterfigur, die real gar nicht gelebt hatte.
Schrott hat nun versucht, die bisher ungelösten Fragen der wissenschaftlichen Forschung zu beantworten und kam zu dem Schluss, dass der Dichter aus Kilikien in der heutigen Süd-Türkei, nahe der Stadt Adana, stammte und dort als griechischer Schreiber der assyrischen Machthaber arbeitete, wie Schrott in seinem Essay als Vorab-Einblick in sein Buch festhielt. Homer habe die dortigen Konflikte seiner Zeit aufgegriffen und verarbeitet, ebenso wie Motive des Gilgamesch-Epos und des Alten Testaments. Weiters sei er möglicherweise Eunuch gewesen. Auch dass der Autor mündlich und aus dem Gedächtnis gearbeitet habe, glaubt Schrott nicht.
Troja in Kilikien
Auch Troja gibt Schrott ein neues Vorbild, nämlich Karatepe, eine Hauptstadt Kilikiens, weit entfernt vom Troja Schliemanns am Hügel Hisarlik in den Dardanellen. Die Stadt selbst weise bis ins Detail Übereinstimmungen mit Homers Troja auf, die dortige Topografie passe weit besser zu jenen Landschaften, die Homer beschreibt.
Die Vegetation, einen Bergkamm, die Beschreibung von Olivenöl als Luxusgut - was zur olivenbaumreichen Gegend um das historische Troja nicht passe -, die Götterwelt, die Namen der Handelnden, Querverweise in anderen Sagen und auch die zeitgenössischen Konflikte der Assyrer und ihre Waffen führt Schrott an, um seine These zu untermauern. Die im damaligen Kilikien zusammenstoßenden Kulturen würden die vielfältigen Einflüsse erklären, mit denen Homer spiele.
"Mosaiksteine" zusammengetragen
Bei seinen Recherchen habe ihn eine Begeisterung erfasst, "die schwer zu beschreiben ist: als wäre das Jahrtausende alte Rätsel Homer nun wirklich zu lösen", so Schrott. Er biete mit seinen Thesen "Hunderte von Mosaiksteinen, die ein geschlossenes Bild ergeben".
Die Fragen, die durch seine neue These auftreten, hat er in einem Buch dargelegt. "Und das, obwohl man von Homer nur eines weiß: nämlich nichts", wie Schrott selbst in seinem Artikel schreibt. Mit den neuen Verortungen würden einige von "zahllosen Ungereimtheiten" rund um das Werk und seinen Autor aufgelöst werden, so Schrott.
Aufruhr im Blätterwald
Diese Thesen des habilitierten Komparatisten Raoul Schrott hat über die Weihnachtsfeiertage für Aufruhr im deutschen Feuilleton gesorgt. "Europa wurde in der Türkei geboren", titelte die "Frankfurter Rundschau". Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, "es fällt schwer, seinen Ausführungen den Glauben zu verweigern".
In der SZ heißt es weiter: "Schrotts Leistung besteht nicht so sehr darin, dass er den Schauplatz der Geschichte (und damit die Identität Homers) so weit nach Osten rückt, wie es vor ihm noch niemand gewagt hatte, bis an die Grenze zu Syrien, sondern dass er einen Vorschlag macht, wie die ungeheure zeitliche Lücke zu schließen wäre, die zwischen dem Trojanischen Krieg und seiner schriftlichen Fixierung im Epos klafft, rund ein halbes Jahrtausend."
Empörung bei Altphilologen
Schrott fordere mit seinen "erdrückend scheinenden" Thesen "nicht wenige" Gegner heraus, urteilt die "Welt". "Nicht nur, dass er die Jahrhunderte lange Homer-Forschung obsolet werden lässt, nein, auch die Deutung Kilikiens als eines Experimentierfeldes, auf dem das gesamte antike Griechentum Tempel- und Hausarchitektur kennenlernte und am Ende gar das Modell der Polis übernahm, dürfte Widerspruch provozieren." Die "Welt" urteilt: "Der erste Dichter des Abendlandes ein assyrischer Schreiberling? So genau wollte man es eigentlich nicht wissen." Hingegen ätzt die "Berliner Zeitung": Schrott "glaubt zu wissen, wer Homer wirklich war: eine Archivmaus".
Auch die Fachwelt lässt mit dem Urteil über das Eindringen der Dichter-Deutung in ihren ureigensten Bereich nicht lange auf sich warten: "Eine irrwitzige Phantasterei", ist der Basler Altphilologe und Homer-Forscher Joachim Latacz im "Spiegel" überzeugt. "Als Altertumsexperte ist er (Anm.: Schrott) ein Dilettant."
In der "Presse" nun sagt der Gräzist Georg Danek von der Uni Wien, Schrotts "Namensparallelen sind reine Klangassoziationen. Natürlich finden sich bei tausend Namen Ähnlichkeiten. Aber da könnte Homer auch aus Irland stammen, mit derselben Methode find ich dort genauso viele Parallelen."
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Raoul Schrott, "Homers Heimat. Der Kampf um Troja und seine realen Hintergründe", Hanser Verlag, erscheint am 8. März 2008
Links
Die Presse - Da könnte Homer auch aus Irland stammen
Frankfurter Rundschau - Europa wurde in der Türkei geboren
Süddeutsche Zeitung - Wir bleiben Troy
Welt online - Der troianische Krieg fand woanders statt
Welt online - Nur ein assyrischer Schreiberling?