Von Herren und Dienstmädchen
Zwölf Schritte
Ákos Molnár ging es in seinen Büchern immer darum, "die geheimnisvollen, beinahe unerforschlichen Labyrinthe der menschlichen Seele" zu erkunden. Mit dem 1933 erschienenen Roman "Zwölf Schritte" ist diese Erkundung hervorragend gelungen.
8. April 2017, 21:58
12 Schritte sind es vom Zimmer des Ehemannes zur Kammer des Dienstmädchens, und einige Zeit kann der Mann der Versuchung widerstehen, sich nachts zu dem Mädchen zu stehlen. Denn schließlich lebt Albert - wie es scheint und wie er selbst auch stets betont - in einer sehr glücklichen, harmonischen Ehe. Niemals, so beteuert er gegenüber sich selbst, niemals wolle er seine geliebte Ehefrau Helga kränken oder gar hintergehen. Doch der sinnlichen Ausstrahlung des Dienstmädchens Grete kann er sich immer weniger entziehen.
Diese Konstellation und dieser Konflikt bestimmen die Handlung in Ákos Molnárs Roman, der im Berlin der späten 1920er Jahre spielt. Zu Beginn deutet noch nichts auf jenes Beziehungsdrama hin, in dem es zuletzt um Leben und Tod geht.
"Gefühlsmäßig jungfräulich"
Albert ist Geographieprofessor an einem Gymnasium, ein Mittdreißiger, aber, wie es heißt "gefühlsmäßig jungfräulich wie im Alter von dreizehn Jahren". Das ändert sich, als eines Tages die Schwester eines seiner Schüler in die Sprechstunde kommt: die Klavierlehrerin Helga, die ihren Bruder Egon nach dem frühen Tod der Eltern aufgezogen hat, und die ihn nun vor dem Sitzenbleiben bewahren will.
Das gelingt ihr, indem sie, wie es heißt, ihren "Schokoladenblick" einsetzt, was dann auch zur Folge hat, dass sich der Lehrer in sie verliebt. Es folgt eine intensive Liebesbeziehung, dann die Heirat. Der zunächst eifersüchtige Egon ist bald von seinem Schwager begeistert, und mit der Bauerntochter Grete kommt schließlich auch noch ein Dienstmädchen ins Haus, dem Helga - nach vielen Problemen mit früheren Bediensteten - absolut vertraut. Eine perfekte Idylle also, die erst nach und nach, mit dem langsamen Aufkeimen der Leidenschaft zwischen Albert und Grete, durch erste kleine Lügen und Geheimnisse, getrübt wird.
Labyrinthe der menschlichen Seele
In dem einzigen Interview, das von Ákos Molnár erhalten ist und das in Ausschnitten im Nachwort zum Roman abgedruckt ist, betont der Autor, dass es ihm mit seinen Büchern vor allem darum gehe, "die geheimnisvollen, beinahe unerforschlichen Labyrinthe der menschlichen Seele" zu erkunden. Mit dem Roman "Zwölf Schritte" ist diese Erkundung in hervorragender Weise gelungen. Molnár beschreibt das emotionale Drama, das sich zwischen den vier Protagonisten abspielt, bis in die kleinsten Regungen, er macht das Durcheinander der Gefühle nachvollziehbar und liefert zur Tragödie auch eine psychologisch schlüssige Motivierung.
Allerdings ist Molnárs Roman nicht - wie vom Piper Verlag angepriesen - das "zeitlose Psychogramm einer Viererbeziehung", vielmehr ist es ein Buch, dem man die Zeit, in der es entstanden ist, und das Publikum, für das es geschrieben ist, sehr deutlich anmerkt - und damit eignet es sich heute wohl vor allem als Lektüre für Leser, die eine gewisse Patina schätzen. Die wird es wohl auch nicht stören, dass die gesellschaftliche Konstellation, die hier beschrieben wird, in keiner Weise hinterfragt wird, sondern im Gegenteil der auktoriale Erzähler ganz selbstverständlich davon spricht, dass Grete einer "niederen Klasse" angehöre, Helga hingegen die "Herrin" sei, die sich damit abmühe, die Dienstmädchen zu "dressieren".
Als ganz selbstverständlich wird erzählt, dass als Ventil für Egons erste, heftige sexuelle Regungen eine Beziehung zum Dienstmädchen diskutiert wird - allerdings nicht mit diesem selbst, denn Grete wird gar nicht gefragt, ob sie überhaupt einverstanden sei. Das interessiert niemanden - wichtig ist nur die Frage, ob solch ein Arrangement (das, wie betont wird, in gehobenen Kreisen durchaus üblich sei) nicht die feinen Gefühle der sensiblen Hausfrau verletzen könnte. Denn Gretes Gefühle sind, wie es immer wieder heißt, "dumpf", jene von Helga hingegen "tief und schön". Grete findet sich mit ihrer Rolle als "dienender Geist" auch durchaus ab, hat aber Gewissensbisse, dass ihre "schändliche Liebe" zum Hausherren eine "verwerfliche Niedertracht" gegenüber ihrer "Herrin" sei.
Zeitgenössische soziale Strukturen
1933, als das Buch in Ungarn erschien, spiegelte es wohl recht genau zeitgenössische soziale Strukturen und war klar für Leser aus der damaligen Oberschicht bestimmt. Sie fanden in dem Werk eine Lektüre, die packend und bewegend war, die mitfühlen und mitleiden ließ, die aber keinerlei gesellschaftskritischen Anspruch stellte.
Es war tatsächlich ein "zeitloses" Thema, mit dem sich Ákos Molnár in "Zwölf Schritte" beschäftigte, der Handlungsrahmen, in den er es stellte, könnte allerdings heutzutage so manchem Leser reichlich verstaubt erscheinen.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 18. Jänner 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 20. Jänner 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Ákos Molnár, "Zwölf Schritte", aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Kunze, Piper Verlag