Der Siegeszug einer einfachen Erfindung

Eine Kiste erobert die Welt

Er ist knapp sechs Meter lang, jeweils zirka zweieinhalb Meter breit und hoch und scheinbar eine ganz normale Kiste aus Stahl, mit der Produkte transportiert werden. Doch der Container ist mehr als das, wie Olaf Preuß in seinem Buch zeigt.

In einen Container passen 10.000 Jeans. Die gesamten Logistikkosten einschließlich des Seetransports liegen damit bei lediglich 40 Cent je Hose. Wenn ein Händler 20.000 Uhren aus China importiert, liegen die gesamten Transportkosten bei 2 Cent je Uhr. Das ist nur per Container möglich.

Die genormte Stahlbox ist durch die niedrigen Kosten pro transportiertem Stück, durch die Zuverlässigkeit der Zustellung und durch das Tempo der Logistik als weltweites Transportmittel unschlagbar. Natürlich ist die Erleichterung des schnellen Informationsaustausches und die zunehmende internationale Arbeitsteilung die Grundlage der Globalisierung, aber möglich gemacht hat die Arbeitsteilung das System des Containertransports mit seiner weltweiten Normierung und Vernetzung.

Das wichtigste Beförderungsmittel für Güter

Über Seeschiffe werden etwa zwei Drittel des gesamten grenzüberschreitenden Handels abgewickelt. Das heißt in Zahlen: 14 Millionen Container sind heute tagtäglich unterwegs. In jeder Minute werden Hunderte von ihnen in den Häfen auf- und abgeladen. Mehr als 400 Millionen Umschlagsbewegungen zählten die Statistiker 2006. 2015 sollen es mindestens doppelt so viele sein. Eine grobe Faustregel besagt: 1 Prozent Wachstum der globalen Produktion bewirkt ein 2-prozentiges Wachstum des Welthandelsvolumens und 3 Prozent Wachstum beim Containerverkehr.

Der Welthandel schreit also nach immer mehr Containern, Schiffen und Terminals, denn je größer die transportierten Mengen, desto geringer sind die Kosten pro Transportgut.

Die Box ist das wichtigste Beförderungsmittel für Güter und zugleich ein gigantisches Zwischenlager für Industrie und Handel. Während die technologischen Strukturen der Informationsgesellschaft in mikroskopischer Winzigkeit verschwinden, geschieht in der Containerlogistik das Gegenteil: Die Schiffe, Kaianlagen und Hafenterminals werden angesichts des Bedarfs immer gewaltiger.

In den 1950er Jahren erfunden

Den Grundstein für diese beispiellose Erfolgsgeschichte legte der amerikanische Transportunternehmer Malcom McLean in den 1950er Jahren. Er war der erste, der die Idee einer durchgehenden Transportkette von Land auf See und wieder zurück in die Tat umsetzte. Im Mittelpunkt seines hocheffizienten Systems stand der Container.

Im April 1956 startete im Hafen von New Jersey der Frachter "Ideal X" zu einer Fahrt nach Houston. An Bord hatte der umgebaute Tanker 58 Container. Damals wollte keiner glauben, dass Metallkisten auf Spezialschiffen die jahrhundertealten Traditionen der Lade- und Lagerarbeit im See- und Hafenverkehr beenden würden. Der Autor Olaf Preuß sieht in der Jungfernfahrt von Mister McLeans als "Schachtelschiff" verspottetem Gefährt eine deutliche Parallele zur Fahrt von Bertha Benz in der "Kraftdroschke" ihres Gatten Carl im August 1888 von Mannheim nach Pforzheim.

Riesige Roboter-Terminals

Ein einfacher Vergleich der Schiffe und ihrer Ladungen zeigt die unglaubliche Entwicklung des Überseehandels. Jeder der größten Containerfrachter kann weit mehr befördern als die rund 1.000 Schiffe zusammen, die um 1600 für den mächtigen Städtebund der Hanse die Meere befuhren. Während es die "Ideal X" auf 58 Container Ladung brachte, stapeln sich auf dem derzeit größten Containerschiff der Welt, der dänischen "Emma Maersk", über 13.000. Mit einem Gewicht von 135 Tonnen besitzt sie auch die größte und schwerste jemals gebaute Schiffsschraube.

Mit den Schiffen wachsen naturgemäß auch die Terminals in den Häfen. Altenwerder in Hamburg ist der modernste und effizienteste der Welt. Wie in einem real gewordenen Szenario aus einem Philip-K.-Dick-Roman passieren hier fast alle Manipulationen vollautomatisch. Nachdem ein Container vom Schiff gehoben wird, setzt ihn die Ladebrücke auf einen flachen Lastwagen mit meterhohen Reifen. Einen Fahrer sucht man vergebens.

Wie von Geisterhand gleitet das Vehikel über eine menschenleere Freifläche. Tausende Sensoren im Boden weisen den dieselelektrischen "Automated Guided Vehicles" den Weg zwischen Containerlager und Schiff. Die führerlosen Lastwagen blinken beim Abbiegen trotzdem. Wenn ein Mensch die Freifläche mit den "Transpondern" im Boden betritt, stoppt das System automatisch.

Die Einführung des Containers war heftig umkämpft. Bummelstreiks und komplette Arbeitsverweigerung standen für die Männer in US-amerikanischen Häfen genauso an der Tagesordnung wie in karibischen und südamerikanischen. Die hart umkämpften Verhandlungen endeten schließlich mit komplizierten Tarifregelungen, hohen Abfindungen und aufwändigen Umschulungsprogrammen.

Schlüsselbranche unserer Zeit

Olaf Preuß beleuchtet Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Containers auf abwechslungsreiche und stets fesselnde Weise. Reportagen aus den Schifffahrtszentren Hamburg oder Rotterdam, Porträts von Logistikern, Großreedern, Schiffs- und Wirtschaftskapitänen, sowie Betrachtungen des globalisierten Welthandels ergeben ein klares und auch für Laien verständliches Bild einer Schlüsselbranche unserer Zeit, die trotz ihrer gigantischen Ausmaße vom Konsumenten kaum wahrgenommen wird.

Schließlich wird auch ein trauriges Kapitel nicht totgeschwiegen: Immer wieder finden Polizei, Zoll oder Hafenaufsicht Menschen als illegales Frachtgut. Manche Container sind von Schlepperbanden speziell für Flüchtlinge präpariert. Wer aber in einer Stahlkammer tief unten im Laderaum eines Schiffes sitzt, hat im Notfall keine Überlebenschance. Sicherheitsexperten wiederum befürchten, dass auch das Frachtgut "lebende Bombe" trotz aller Maßnahmen zukünftig häufiger verschickt wird.

Für die Weltwirtschaft ist der Container ein Segen. Im Hinblick auf die Bedrohung durch Terroristen könnte sich die schnell und universell transportierbare Stahlkiste aber vielleicht irgendwann auch als Fluch erweisen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Olaf Preuß, "Eine Kiste erobert die Welt. Der Siegeszug einer einfachen Erfindung", Murmann Verlag