Musikalisches Multitalent

Zwirnsfaden als Jahrhundertstimme

Die Stimme des jungen Richard Tauber war, so ein Kollege, "nicht mehr als ein Zwirnsfaden". Es hat eines eisernen Willens und einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein bedurft, um aus diesem Zwirnsfaden eine Stimme zu machen, die die Welt erobert hat.

Richard Tauber in "Die Entführung aus dem Serail"

Mag man den Tonträgermarkt auch noch so tot reden und sich dabei gegenseitig die Schuld daran zuschieben, eines ist nicht zu übersehen: Der Markt an historischen Aufnahmen boomt, ja er hat geradezu inflationäre Formen angenommen, die der Sache keineswegs dienen.

Wollte man da eine Prognose aufstellen, welche dieser offenbar unkontrolliert herausgebrachten Archivschätze vielleicht auch noch in 50 oder 100 Jahren gehört werden, so scheint eines klar: Die Auswahl an wirklich zeitlosen Künstlern und Interpretationen ist durchaus überschaubar.

Sänger, Dirigent und Komponist

Einen Fixplatz in dieser Kategorie nimmt - auch 60 Jahre nach seinem Tod - der aus Linz gebürtige Tenor Richard Tauber ein. Tauber war ein musikalisches Multitalent wie heutzutage vielleicht Placido Domingo. Aber Tauber hat nicht nur gesungen und dirigiert, er hat ebenso komponiert und zwar durchaus mit Erfolg, er hat schon am Beginn des Tonfilmes etliche Filme gedreht, er hat für damalige Begriffe unzählige Platten aufgenommen und war allein durch diese Medien ungeheuer populär, weitaus populärer, als es heutzutage ein Sänger, der vom klassischen Bereich kommt, werden kann. Und das alles mit einer äußeren Erscheinung, die geradezu krass von seinen musikalischen Qualitäten abwich. Sexappeal verbreitet hat er ausschließlich auf vokalem Sektor.

Kindheit in Theateratmosphäre

Werfen wir ein kleinen Blick auf seine Biographie: Geboren wurde er in Linz, seine Eltern aber stammten beide aus Wien. Seine Mutter war zeitweilig am Linzer Landestheater engagiert, sein Vater hat dort mehrmals gastiert, und das Ergebnis der Liaison zwischen ihm und der zwar 14 Jahre älteren, aber nichtsdestoweniger sehr attraktiven Soubrette kam schließlich am 16. Mai 1891 zur Welt: Richard Denemy, wie er vorerst noch mit dem Mädchennamen der Mutter geheißen hat. Seine ersten Lebensjahre hat er bei der Mutter verbracht, also sofort in einer Theateratmosphäre, und so sollte es auch bleiben, als er 1900 zu seinem Vater übersiedelt ist. Zunächst nach Prag, 1901 nach Berlin, dann nach Wiesbaden und so weiter.

Stimme wie ein Zwirnsfaden

Bereits mit 16 Jahren ist eines für Richard Tauber klar gewesen: Er wollte Sänger werden. Doch diesem Wunschtraum sind eine Reihe von Widerständen entgegengestanden, denn seine Stimme war, wie sich etwa der berühmte Bariton Leopold Demuth ausgedrückt hat, "nicht mehr als ein Zwirnsfaden", und so hat es eines eisernen Willens, großer Disziplin und auch einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein bedurft, um aus diesem Zwirnsfaden eine Stimme zu machen, die im wahrsten Sinne des Wortes wirklich die Welt erobert hat und die bis heute, 60 Jahre nach seinem Tod, unvergessen geblieben ist.

Grundlage von Taubers Karriere, die 1913 in Chemnitz mit dem Tamino in der "Zauberflöte" begonnen hat, war zweifellos seine angeborene Musikalität verbunden mit einer ernsthaften und gründlichen Ausbildung, die sich jedoch in erster Linie auf eine Laufbahn als Kapellmeister beziehungsweise Komponist konzentriert hat, zwei Funktionen, die er im Laufe seiner Karriere dann auch durchaus erfolgreich ausgeübt hat, wenngleich doch der Sänger, der Tenor, immer im Mittelpunkt gestanden ist.

Engagement in Dresden

Taubers wichtigste Zeit für seine sängerische Entwicklung hat noch in seinem Debütjahr begonnen und zwar mit einer fixen Verpflichtung an die Dresdner Oper. Dort hat er über 80 Rollen verkörpert, viel Zeitgenössisches, aber auch schon viele seiner späteren Erfolgspartien.

Doch trotz aller Erfolge als Opernsänger lockte ihn bald die leichte Muse. Für Franz Lehar wurde Tauber rasch zu einem Erfolgsgaranten für alle seine neuen Operetten, die von nun an Richard Tauber sozusagen auf die Kehle geschrieben wurden: "Der Zarewitsch", "Friederike", "Das Land des Lächelns" und als großer Höhepunkt für Lehar: "Giuditta", uraufgeführt 1934 auf den hehren Brettern der Wiener Staatsoper unter Leitung des Komponisten und mit Tauber und Jarmila Novotna in den Hauptrollen.

"Turandot" gerettet
Zwischendurch aber gab Tauber doch auch immer wieder Gastspiele in seinen großen Opernpartien, rettete so zum Beispiel 1926 an seinem alten Stammhaus in Dresden die deutsche Erstaufführung von Puccinis "Turandot", die er nach Erkrankung des vorgesehenen Tenors innerhalb von nur wenigen Tagen übernommen hat, ein Husarenstück sondergleichen!

Emigration nach England

Tauber gastiert zwar in aller Welt, trotzdem bleibt bis 1933 Berlin Zentrum seines Wirkens, ja er glaubt in seiner Naivität, sich den Nazis andienen zu können, doch die legen absolut keinen Wert auf einen nicht "reinrassigen" Künstler, so populär er damals auch gewesen ist. Also weicht er zuerst nach Österreich aus, landet aber schließlich in England, wo es ihm auch gelingt, als Künstler rasch Fuß zu fassen.

1947 kommt es zu berührenden Begegnung mit seinen ehemaligen Kollegen von der Wiener Staatsoper, die damals in London gastiert und ihn einlädt, den Don Ottavio in Mozarts "Don Giovanni" zu übernehmen. Bereits todkrank, gelingt ein quasi medizinisches Wunder. Trotz nur mehr eines funktionierenden Lungenflügels bietet er eine überragende Leistung und wird ein letztes Mal frenetisch gefeiert. Drei Tage später liegt er am Operationstisch, der bereits vom Krebs befallene Lungenteil wird entfernt, doch ohne nachhaltige Wirkung. Drei Monate später, am 8. Jänner 1948, stirbt Richard Tauber in London, nur 56 Jahre alt.

Leben und Lieben
Sein reicher musikalischer Nachlass lässt die Erinnerung an ihn nicht verblassen, eine ganze Reihe von Büchern und Dokumentationen beschäftigt sich bis in unsere Zeit hinein mit dem Phänomen seiner Künstlerpersönlichkeit, mit seinem Leben und Lieben, das sehr oft dem Fahren auf einer Achterbahn nicht unähnlich gewesen sein muss.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 22. Jänner 2008, 15:06 Uhr

Link
Richard Tauber Online Archiv