Fritz Moldens persönliche Sicht der Dinge

Vielgeprüftes Österreich

Fritz Molden plaudert aus der Schule seines Lebens als Widerstandskämpfer, Diplomat, Journalist und Verleger. Es ist in der Tat die ereignisreiche Vita eines politisch aktiven, jedoch parteipolitisch passiven Liberalen.

Die Erinnerungen Fritz Moldens lesen sich bisweilen wie sanfte Begleitmusik für schon allzu bekannte Geschichten, ohne jegliche Paukenschläge - und auch ohne symphonischen Tiefgang. Es geht um die Besatzungszeit, den Kalten Krieg, den Staatsvertrag, den Einzug der "Proporzokratie" und andere politische Querelen, das Südtirolproblem und schließlich die Affäre Waldheim.

Es ist kein Geschichtsbuch mit Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf Daten oder Fakten. Es sind vielmehr Aufzeichnungen von persönlichen Erlebnissen beziehungsweise mehr oder weniger direkten Eindrücken, die mir in dieser mehr als zwei Generationen umfassenden Periode bemerkenswert erscheinen.

Erlebnisse mit Bruno Kreisky

Immer wieder taucht Bruno Kreisky, der "große Zampano" der Zweiten Republik in diesen Erinnerungen auf. Schon 1946 kreuzten sich die Wege des "edlen Schmetterlings" Bruno Kreisky, dem selbst in den Trümmern Wiens elegant hervorstechenden Herrn im Maßanzug, mit jenen des Autors, damals Kabinettschef im noch fensterlosen Außenamt am Ballhausplatz. Bruno Kreisky bewarb sich um einen Posten, Fritz Molden empfahl ihn Außenminister Gruber mit den Worten:

"Herr Bundesminister, ich habe eine gute Nachricht für dich, uns geht ein toller Fisch ins Netz". Gruber schaute mich fragend an: "Was meinst Du?" Ich berichtete freudig von dem jungen Mann Bruno Kreisky und von seinem Hintergrund. Am Schluss wies ich noch darauf hin, dass Karl Gruber immer über Mangel an Sozialisten und jüdischen Beamten im Amt geklagt hatte und endete mit den Worten: "Jetzt hast du beide in einem, einen Juden und einen Sozi erster Qualität."

Bruno Kreisky wurde sofort als stellvertretender Abteilungsleiter eingeschult, um wenig später von seinem eigenen, um die antisemitische Wählerschaft besorgten Wiener Genossen Adolf Schärf, damals Vizekanzler, wieder abgesägt zu werden.

Franz Olahs Potenzial

Fritz Molden schätzte jene Sozialdemokraten, die für eine liberale Modernisierungspolitik eintraten. Neben Bruno Kreisky erfährt auch dessen Königsmacher Franz Olah besondere Würdigung als sozialdemokratischer Gewerkschaftsführer.

Ohne die Schattenseiten Olahs zu verschweigen, seine Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern etwa, erkannte er das politische Potenzial und den Erneuerungswillen des ÖGB-Vorsitzenden, der sowohl einen Kampf gegen die orthodoxen Austromarxisten in der eigenen Partei wie auch gegen die sowjetische Besatzungsmacht führte.

Molden war anwesend, als es Franz Olah mit seinen Bau/Holz-Gewerkschaftern im Herbst 1950 gelang, den kommunistisch instrumentalisierten Streik der Arbeiter gegen das von der Gewerkschaft mit beschlossene 4. Lohn-Preis Abkommen zu brechen. Voll der Bewunderung schildert er die Ereignisse auf der von Arbeitern der USIA-Betriebe blockierten Floridsdorfer Brücke:

Nach einiger Zeit tauchte eine große Kolonne von eingehakt in Achter- oder Zehner-Reihen marschierenden Arbeiter auf, die von Brigittenau und dem Donaukanal kommend das alte österreichische Arbeiterlied "Brüder zur Sonne, zur Freiheit" singend durch die zurückweichende und bald jubelnde Menge auf die Brücke marschierte. "Das sind die Burschen von der Bau/Holz", tönte es von überall her und an der Spitze marschierte der Präsident Franz Olah. (...) Unsere Polizei wich salutierend zur Seite und - wie ein kleines Wunder - auch die sowjetischen Funktionäre zogen sich eher verdattert zum Straßenrand zurück.

Der Südtirolkonflikt

Noch näher an den Ereignissen war der Autor Jahre später im Südtirolkonflikt, wo er mit den sogenannten "Bumsern", den Masten sprengenden Verfechtern des Autonomieabkommens mehr als sympathisierte, hatte doch Außenminister Karl Gruber 1946 mit De Gasperi das Autonomie-Abkommen geschlossen. Fritz Molden war Delegationsmitglied, als das Südtirolproblem von Außenminister Kreisky vor die UNO gebracht wurde. Erstaunlich kritiklos sieht der liberale Demokrat auch heute noch die Gewalt der Südtiroler Aktivisten, die auch Todesopfer forderte.

Weitaus sensibler wird die "Affäre Waldheim" beurteilt, die Fritz Molden zur "Tragödie eines Patrioten" erklärt. Doch obwohl er die Facetten der von den Sozialdemokraten angezettelten und vom Wold Jewish Congress ausgeschlachteten "Campaign" genau analysiert, geht dabei eines unter: der Eigenanteil Kurt Waldheims als Verleugner seiner Vergangenheit.

Plädoyer für eine "dritte Republik"

Es sind diese kleinen Schlagseiten, die sich durch die gesamten "politischen Erinnerungen" des vielleicht doch nicht so ganz Liberalen ziehen: wie etwa auch die Wortwahl vom "Aufstand des marxistischen Schutzbundes" deutlich macht, wenn vom Bürgerkrieg des Februar 1934 die Rede ist, oder die unverbesserliche Bezeichnung "Ständestaat" allen zeithistorischen Forschungen zum Trotz verwendet wird, die guten Amerikaner versus den bösen Russen ins Spiel gebracht werden.

Vielleicht sollten wir Fritz Molden zu einem spezifisch österreichischen Liberalen ernennen, nicht zuletzt wegen seines Schlussplädoyers für die "dritte Republik":

Die "Zweite Republik" könnte sich auf diese Weise durch eine neue Verfassung, deren Änderungen keineswegs nur, aber doch auch wesentlich von dem oben bereits beschriebenen Wahlrecht gekennzeichnet sein sollten, relativ schnell in eine verjüngte, moderne und leistungsfähigere "Dritte Republik" verwandeln. Ein runderneuertes Staatswesen, gesund im Herzen der Europäischen Union platziert.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Fritz Molden, "Vielgeprüftes Österreich. Meine politischen Erinnerungen", Amalthea Signum Verlag