Der gewaltfreie Widerstand
Auf den Spuren von Mahatma Gandhi
Am 30. Jänner 1948 wurde der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi ermordet. Seine Lehre vom gewaltfreien Widerstand inspiriert bis heute Menschen in aller Welt. An Gandhi orientieren sich Ökologen, Menschenrechtsaktivisten und politische Visionäre.
8. April 2017, 21:58
"Das Licht ist aus unserem Leben gewichen. Überall herrscht Dunkelheit. Ich weiß nicht genau, was ich Euch sagen soll und wie ich es sagen soll. Unser geliebter Führer, Bapu, wie wir ihn nannten, der Vater der Nation, weilt nicht mehr unter uns": Mit diesen Worten wandte sich Indiens erster Premierminister, Jawaharlal Nehru, am Abend des 30. Jänner 1948 an die indische Bevölkerung.
Nur fünfeinhalb Monate zuvor, am 15. August 1947, hatte Indien die Unabhängigkeit von britischen Kolonialherren erlangt. Die Unabhängigkeit war einhergegangen mit der Teilung des Subkontinents in das überwiegend muslimische Pakistan und das mehrheitlich hinduistische Indien.
Radikale Hindus konnten Gandhi nicht verzeihen, dass er diese Teilung nicht hatte verhindern können. Als sich Gandhi sich am Nachmittag des 30. Jänner 1948 zu seinem täglichen Gebetstreffen in Delhi begab, trat der Hindu-Extremist Nathuram Godse aus der Menge und feuerte tödliche Schüsse auf Gandhi ab.
Nicht leicht einzuordnen
Wer war dieser Mann, Mohandas Karamchand Gandhi, wie er mit vollem Namen hieß? Wie wurde er zum großen Freiheitskämpfer, zum Verfechter des gewaltfreien Widerstandes und zum Mahatma - der großen Seele, wie er genannt wurde? An Quellen mangelt es keinesfalls. Gandhis gesammelte Werke - seine Reden, Briefe, Zeitungsartikel und andere Schriften füllen knapp 100 Bände. Rund eintausend Biografien sind über ihn verfasst worden, die ersten bereits zu seinen Lebzeiten. Ständig kommen neue hinzu. Auch eine ganze Reihe von Filmen beschäftigt sich mit Gandhis Leben.
Bemerkenswert sind die völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen von Gandhi zu seinen Lebzeiten. Die drahtige Gestalt ließ sich nicht so leicht einordnen: Gandhi war der Sohn aus einer westindischen Händlerkaste, dessen Vater im Dienste eines lokalen Fürsten stand; er ging nach England zum Jus-Studium und wurde dann als Anwalt für aus Indien stammende muslimische Händler in Südafrika tätig.
Gewaltlosigkeit und Wahrheit
In Südafrika erlebte er am eigenen Leib die Diskriminierung der Inder und trat in der Folge für deren Rechte ein; dabei entwickelte er seine Vorstellung von Ahimsa - Gewaltlosigkeit - und Satyagraha - Festhalten an der Wahrheit, wie er seinen gewaltfreien Widerstand nannte. 1915 kehrte er nach Indien zurück und wurde binnen weniger Jahre zur überragenden Gestalt im indischen Freiheitskampf. Kein anderer vermochte die Massen so zu mobilisieren wie er. In einen weißen Dhoti, das indische Beinkleid, gehüllt, forderte er das britische Weltreich heraus.
Gandhis Philosophie und Ideologie lassen sich nicht in die vorhandenen Schemata einreihen. Seine Lehre von der Gewaltlosigkeit und vom gewaltlosen Widerstand sind seit seinem Tod von zahlreichen Politikern, Aktivisten und Wissenschaftern aufgegriffen und weiter entwickelt worden.
Ein komplexes Phänomen
Ob sich Gandhis gesellschaftspolitische und ökonomische Ideen zu einer schlüssigen Theorie zusammenfügen ließen, ist indes umstritten. In den 1970er Jahren gab es im Westen Bemühungen, aus Gandhis Thesen eine Art Dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus abzuleiten. Auch Anhänger von Gandhi sind sich keineswegs immer einig. Dabei stellt sich schon die Frage, wie man einen Gandhianer überhaupt definiert.
Die gesamte Komplexität Gandhis zu erfassen, ist eine gewaltige Aufgabe, weiß Rajmohan Gandhi, ein Enkel des Mahatma und Professor an der Universität von Illinois in den USA, der kürzlich eine weitere, 700seitige Biographie mit dem Titel "Mohandas“ veröffentlicht hat. Wie eine Reihe von Werken aus jüngerer Zeit beschäftigt sich diese Biografie besonders mit dem Menschen Gandhi. Wäre Gandhi nur der Heilige gewesen, als den manche Bücher und Filme ihn präsentieren, wäre er seiner Aufgabe nie gewachsen gewesen.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 28. Jänner bis Donnerstag, 31. Jänner 2008, 9:05 Uhr
Buch-Tipps
Mahatma Gandhi, "Autobiographie. Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit", aus dem Englischen übersetzt von Fritz Kraus, Verlag Karl Alber
Mahatma Gandhi, "Mein Leben", eine von Gandhi genehmigte Zusammenstellung von Teilen seiner Autobiografie und seines Textes "Satyagraha in Südafrika“, aus dem Englischen übersetzt von Hans Reisinger, Suhrkamp Verlag
Rajmohan Gandhi, "Mohandas", Penguin Books
Claude Markovits, "The Un-Gandhian Gandhi", Permanent Black