Zwischen Styling und Funktionalität
Food Design
Was haben Pommes und Steckerleis gemein? Oder Kinderjoghurt und Suppenwürfel? Sie alle sind designed, denn Essen ist mehr als Kalorienzufuhr: Es rührt Gefühle, reizt die Sinne, folgt Trends. Und immer öfter soll es uns "gesünder" machen.
8. April 2017, 21:58
Das Gluckern beim Bier-Einschenken; das Gefühl von knuspriger Fischstäbchen-Panier am Gaumen; das Gelb des Vanillepuddings: Ausgetüfteltes Design von Lebensmitteln beschäftigt Industrie, Marktforschung, Wissenschaft. Das Ergebnis ist unter anderem die ausgeklügelte Darbietung von Nahrung: Ein rosa Joghurt schmeckt nach Erdbeere, ein weißes weniger süß - die Farbe macht Gusto. Ein lasches Frankfurter Würstl schmeckt fad, in ein knackiges muss man regelrecht beißen. Und ein Fischstäbchen hat bei Kindern unter anderem deshalb Erfolg, weil der Riegel in seiner Panierverpackung nicht mehr an Fisch erinnert.
Zusatznutzen durch Food Design
"Wir verändern Essen schon seit Tausenden Jahren", ob durch Kochen, Einwecken oder Würzen, meint Werner Mlodzianowski vom Technologie-Transfer-Zentrum in Bremerhaven. Food Design ist aber mehr und aufwändiger als die Veränderung von Nahrungsmitteln zu Speisen, wie wir sie zuhause am Herd und am Schneidbrett täglich vornehmen.
Food Design ist auch Teil der industriellen Herstellung: Kosten senken, Geschmack verbessern, "Zusatznutzen" entwickeln. Am TTZ im norddeutschen Bremerhaven wird unter anderem in diesem Sinn für die Lebensmittelindustrie geforscht. Zum Beispiel "erriecht" ein Automat das Aroma von Diskontwein im Vergleich zu edlen Tropfen; Fischstäbchen werden nach wissenschaftlichen Kriterien verkostet oder es wird ausgetüftelt, wie sich Tomatenreste aus der Tomatenmark- und Ketchupherstellung als Faltencreme nützen lassen.
Der gestaltbare Genuss
Bei all der Technologie geht es letztlich um Sinnlichkeit: Das hörbare Knuspern beim Biss in krosse Chips; das Gefühl im Mund bei einer fluffigen Schwedenbombe; das süße Rot der Gummibärli. Form und Farbe, Geruch und Geräusch entscheiden mit, ob wir Essen genießen oder bloß schlucken. Dem Zufall scheint immer weniger überlassen - oder warum passt die Extrawurst genau in eine Semmel? Warum haben Butterkekse einen Briefmarkenrand? Und warum wird aglio-olio an glatten Spaghetti serviert und nicht an gerillten Penne?
Dem gestaltbaren Genuss gehen die Wiener Architekten Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter seit Jahren nach. In Frankreich, Spanien und Deutschland haben sie Wissenschafter, Lebensmittelproduzenten, einen Sounddesigner und Molekulargastronomen besucht und nach dem Wie befragt, aber auch nach dem Warum. Die Essenz ihrer jahrelangen Recherchen mündet in einen Dokumentarfilm der Nikolaus-Geyrhalter-Filmproduktion unter ORF-Beteiligung.
Re-designte Lebensmittel
"Ein Food Designer ist jemand, der mit Essen hantiert ohne kochen zu können" schreibt der Food-Designer Marti Guixé auf seiner Homepage. Der Spanier bringt Essen in Form, damit die Nahrungsaufnahme ins Arbeitsleben unserer Tage passt: weg vom Lagerfeuer hin vor den Computerbildschirm; weg von der bewussten Mittagspause hin zum Ständig-Nebenbei-Knabbern.
Schnell muss es gehen, am PC, häppchenweise, mit einer Hand, ohne dass Brösel die Tastatur blockieren. So re-designt Guixé z.B. das traditionelle katalanische Tomatenbrot Pa amb tomàquet und macht aus einer knusprigen Brotscheibe, die bedächtig beträufelt und bestrichen wird, einen Takeaway-Happen in Cocktailparadeiserform: packt Brot, Olivenöl und Salz in die Tomate; verwurstet das inoffizielle Nationalgericht zum Fingerfood. Mahlzeit.
Mehr zum Thema Food Design in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 29. Jänner 2008, 19:05 Uhr
Buch-Tipp
Sonja Stummerer & Martin Hablesreiter, "Food Design. Von der Funktion zum Genuss", Springer-Verlag
Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung, "Food Design. Von der Funktion zum Genuss", bis Freitag, 15. Februar 2008, designforum im Museumsquartier Wien
Link
Designforum