Kultur statt Kunst
Hörstadt Linz09
"Wenn ich schon die Sinneswahrnehmung des Menschen als Waffe nutze, dann muss es zumindest Kriegsrecht geben", meint der Komponist Peter Androsch im Interview. Er ist Musikkurator der Europäischen Kulturhauptstadt Linz09.
8. April 2017, 21:58
Peter Androsch über seine Pläne für Linz09
Der Komponist Peter Androsch ist seit Frühjahr 2006 Musikkurator der Linzer Kulturhauptstadt 09. Er hat die Karenzzeit dafür genützt, über das Hören zu recherchieren und hat sein Ideen Martin Heller mitgeteilt, der ihn zum Kurator bestellte. Mittlerweile wird er mit Vorschlägen überhäuft, die Enttäuschungen sind vorprogrammiert.
Irene Suchy: Wie gehen Sie mit dem Ansturm von Vorschlägen um? Ich las, dass Intendant Martin Heller 1.500 Ablehnungsbriefe persönlich unterschreibt.
Peter Androsch: Dieser Ansturm von Ideen und Wünschen hat mit einem fundamentalen Missverständnis zu tun. Nämlich, dass eine Kulturhauptstadt eine Kunsthauptstadt ist und letztlich ein Riesenfestival, in dem nicht anderes getan wird, als was im übrigen Kunstbetrieb auch getan wird. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, die Kunsthauptstadt abzuschaffen und die Kulturhauptstadt zu machen.
Haben Sie ein Vorbild? Den Instrumentalunterricht für alle als Plan der Kulturhauptstadt Essen 2010, die Koglmann-Komposition in Sibiu-Hermannstadt 2007?
Ich habe Vorbilder, aber die finden sich nicht in den Kulturhauptstädten. Schon wenn man sich das Gründungsdokumente der EU anschaut - eine Initiative der Melina Mercouri - ist da ein großes Durcheinander; aber eine Sache zieht sich wie ein roter Faden durch: dass man benachteiligte Regionen fördert. Beim besten Willen kann man diese Aufgabe nicht für Linz reklamieren. Linz ist vieles, aber sicher nicht benachteiligt. Die Aufgabe für Linz muss eine ganz andere sein.
Ich hätte gern, dass Linz sich entwickelt, dass wir etwas auswickeln, was schon ist. Wir haben das Wort Hörstadt kreiert. Hörstadt ist der Versuch, den Bereich des akustischen Raumes zu politisieren. Die beiden Ohren sind direkte Körpereingänge, die von vielen verwendet werden, auch ohne Erlaubnis, sei es gewollt oder ungewollt, da gehört der Bereich des Verkehrs hinein, der Bereich der Architektur, die taub geworden ist, der Spitäler, die krank machen. Der Bereich des Hörens ist total unbeachtet, aber gerade das Hören beeinflusst uns im Tiefsten, es kann uns kränken und krank machen.
Was mich beim Hören interessiert, ist die Körperlichkeit des Hörens. Wilhelm Reich hat ja nicht ohne Grund gesagt: Ihr habt keinen Körper, ihr seid Körper. Im Hören inkarniert sich das ganz besonders. Der Aspekt der Menschenrechtlichkeit interessiert mich besonders: Ist es wirklich so, dass unsere Körper zum Kriegsschauplatz der menschlichen Auseinandersetzung werden können und ist es nicht so, dass eine der wichtigsten Aufgaben ist, mehr Kontrolle über unsere Körper zu bekommen - dass wir Schall wie viele anderer Dinge als Emission begreifen?
Nicht ohne Grund heißt es Hörstadt und nicht Klangstadt. Wir stellen uns auf die Seite derer, die hören müssen. Das Programm Hörstadt versucht, auf drei Ebenen diese Problematik anzugehen: das eine ist die Linzer Charta - die Politisierung des akustischen Raumes, was vom Umbau der Bauordnung bis zur Errichtung von Schulen bis zum Sterben im akustisch menschenwürdigen Raum geht. Das zweite ist das Akustikon, das Linz09 errichtet, das dritte ist die Kampagne gegen die Zwangsbeschallung.
Kann eines der Ergebnisse von Linz09 sein, mein Selbstbewusstsein in einer Weise zu stärken, dass sich die akustische Umwelt nach mir richtet und ich mich nicht nach ihr richten muss?
Das wäre so etwas wie Zivilcourage. Wir wollen mit vielen Beispielen dazu ermutigen, für eine akustische Raumplanung Regeln zu entwickeln, wie man mit dem Schall umgeht. Ich habe etwas dagegen, wenn Beschallung Mittel einer wirtschaftlichen Strategie wird. Wenn ich schon die Sinneswahrnehmung des Menschen als Waffe nutze, dann muss es zumindest Kriegsrecht geben.
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Hör-Tipp
Apropos Musik, Sonntag, 3. Februar 2008, 15:06 Uhr
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