Wirkung ohne Wirkstoff

Heilung durch Einbildung?

Eigentlich dürften sie nicht wirken, jene Tabletten ohne Wirkstoff, die nur aus Zucker oder Stärke bestehen. Sie tun es trotzdem. Wenn auch nicht bei allen Menschen oder allen Leiden gleich gut. Aber warum? Noch gibt es kaum Antworten.

Glaubst du an mich, dann heile ich dich. Da ist mehr dran als ein Körnchen Wahrheit. Aber viele Fragen sind offen, wie zum Beispiel die, wie lang die Wirkung anhält, ob Placebos auch Nebenwirkungen haben und wie man Placebos in der Praxis besser nutzen könnte.

Neu aufgeflammt sind die Placebo-Diskussionen vor kurzem durch die Ergebnisse der weltweit größten Akupunkturstudie. Dabei wurden die Daten von einer Viertelmillion deutscher Schmerzpatienten berücksichtigt. Menschen mit chronischen Kopfschmerzen, chronischen Rückenschmerzen und chronischen Kniegelenksschmerzen wurden in drei Gruppen eingeteilt.

Akupunktur gegen Scheinakupunktur

Eine Gruppe bekam eine standardisierte medizinische Behandlung beispielsweise mit Bewegungstherapie, Physiotherapie und Arzneimitteln. Die zweite Gruppe erhielt eine Akupunkturbehandlung nach der Traditionellen Chinesischen Medizin. Für die dritte Gruppe ließ man sich etwas Spezielles einfallen: eine Scheinakupunktur. Da wurde zwar auch gestochen, aber sehr oberflächlich und mehrere Zentimeter abseits der Akupunkturpunkte.

Scheinakupunktur wirkt bei Schmerzen

Das überraschende Ergebnis der Studie: die Scheinakupunktur hilft fast gleich gut wie die Akupunktur nach der TCM. Forscher wie der Münchner Mediziner Klaus Linde haben eine mögliche naturwissenschaftliche Erklärung für die gute Wirkung der Scheinakupunktur: Durch die "Nadelung", egal wohin, wird ein Schmerzreiz gesetzt und der vertreibt gewissermaßen stärkere Schmerzen. Zur guten Wirkung der Akupunktur trage außerdem ihr gutes Image bei.

Erwartung und Lernen

Studien belegen, dass der Placebo-Effekt auf einer Mischung aus Erwartungshaltung und Lernprozessen mit Konditionierungseffekt beruht.

Wenn ein Medikament bereits erste Wirkungen gezeigt hat, merkt sich der Patient zum Beispiel Aussehen oder Geschmack einer Tablette und assoziiert damit eine bestimmte Wirkung. Auch dann, wenn es keine Wirkstoffe enthält.

Der Placebo-Effekt ist im Grunde etwas ganz Alltägliches, das ständig passiert, wenn etwas einmal funktioniert hat. Nach dem Genuss von zu viel Alkohol hilft zum Beispiel ein Aspirin oft schon, bevor es seine Wirkstoffe abgegeben hat. Der Grund: Die Wirkung wird erwartet. Das gilt im Guten wie im Schlechten (Nocebo)

Dopingeffekt ohne Doping?

Ein beeindruckendes Experiment zum Placebo-Effekt mit möglicherweise weitreichenden Folgen im Sport stammt vom Turiner Neurowissenschaftler Fabrizio Benedetti.

Er hat im Labor Probanden Faustdrücken lassen, und zwar unter ischämischen Bedingungen, mit blutleeren Blutgefäßen. Das ist äußerst schmerzhaft. Während der zweiwöchigen Übungen im Labor haben die Probanden Morphium bekommen. Das hemmt die Schmerzen und erhöht daher die Leistung. Bestimmte Morphiumpräparate sind in realen Trainings erlaubt, nicht aber im Wettkampf.

In der dritten Woche, in der der Wettkampf im Labor stattfand, wurde das Morphium durch ein Placebo ersetzt, nämlich Wasser. Fazit: Das Placebo hatte einen Morphium-ähnlichen Effekt.

Nichtraucher empfänglicher für Placebos bei Bauchweh

Menschen sprechen sehr unterschiedlich stark auf Placebos und Nocebos an. Eine typische Placebo-Persönlichkeit gibt es nach Auffassung des Tübinger Psychologen Paul Enck nicht.

Er hat Studien daraufhin nachträglich untersucht. Es gibt aber Korrelationen. Auffallend seien zum Beispiel bei Bauchschmerzen Korrelationen zwischen Placebo-Empfindlichkeit und Übergewicht und zwischen Placebo-Empfindlichkeit und dem Nichtrauchen. Die Gründe dafür müssen erst näher erforscht werden.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 7. Februar 2008, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Urban Wiesing, "Wer heilt, hat Recht? Über Pragmatik und Pluralität in der Medizin", Schattauer Verlag