Umbrüche im Leben und in der Geschichte
Zeit der Veränderung
Martin Pollack, Autor des Bestsellers "Anklage Vatermord", richtet seine Aufmerksamkeit häufig auf einzelne Ereignisse und Begegnungen, denn erst durch sie, so ist er überzeugt, werden größere Zusammenhänge wirklich verständlich.
8. April 2017, 21:58
Spannende Geschichten gibt es überall
Der 1944 in Bad Hall geborene Martin Pollack absolvierte erst eine Ausbildung als Bau- und Möbeltischler, ehe er sich dem Studium der Slawistik und osteuropäische Geschichte in Wien und Warschau zuwandte. 1987 bis 1998 war er Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", seit 1998 arbeitet er als freier Autor und Übersetzer.
Pollack machte sich als Übersetzer des polnischen Autors und Journalisten Ryszard Kapuscinski einen Namen im gesamten deutschen Sprachraum. Darüber hinaus hat er Prosa von Wilhelm Dichter, Henryk Grynberg, Teresa Toranska, sowie Theaterstücke von Olgierd Kajak, Krystian Lupa und Tadeusz Slobodzianek aus dem Polnischen ins Deutsche übertragen.
Der Fall Philipp Halsmann
Der ehemalige "Spiegel"-Redakteur recherchiert für seine eigenen Bücher akribisch. In "Anklage Vatermord", 2002 erschienen und ein Bestseller, rekonstruierte Pollack einen Justizskandal der 1920er Jahre. Es geht um den Fall des jüdischen Burschen Philipp Halsmann, der bei einer Wandertour seinen Vater erschlagen haben soll. Halsmann wird ohne Beweis und ohne Motiv zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt. In Wien und im gesamten deutschen Strafraum erregt der Fall und mehr noch die Verurteilung Halsmanns großes Aufsehen. Man spricht von einem Justizskandal. Im Wiederaufnahmeverfahren 1929 wird Halsmann noch einmal schuldig gesprochen.
Schließlich wird Halsmann vom österreichischen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas amnestiert. Über Paris flüchtet er 1940 mit seiner Familie vor den Nazis in die USA. Hier wird er als Philippe Halsman zu einem der bekanntesten und bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts.
Martin Pollack gelingt es überzeugend, am Schicksal eines Einzelnen zu zeigen, woran die Erste Republik letztlich zu Grunde gegangen ist. Pollack machte aus der Tragödie nicht einen Roman, sondern schildert eindrucksvoll die Fakten.
Die Vergangenheit der eigenen Familie
In seinem 2004 erschienenen Buch "Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater" geht Pollack der nationalistischen Vergangenheit der Steiermark anhand seiner eigenen Familiengeschichte nach. Pollacks Vater wurde 1947 im italienisch-österreichischen Grenzgebiet erschossen. Der Sohn war damals noch keine drei Jahre alt, die Familie hüllte in den Jahrzehnten danach einen Mantel des Schweigens über die Vorfälle.
Beim Bunker am Brenner beginnt Pollack im Sommer 2003 seine Spurensuche. Erst allmählich wird die Tatsache klar: Gerhard Bast, der Vater, hat als hochrangiger Gestapo-Beamter und SS-Offizier an maßgeblicher Stelle an der NS-Vernichtungsmaschinerie mitgewirkt.
Gesammelte Reportagen aus Polen und Sarmatien
Auch als Herausgeber gilt Pollacks Interesse in erster Linie Osteuropa: "Von Minsk nach Manhattan" heißt ein Sammelband mit Reportagen der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza". In Polen werde der im Aussterben begriffenen Gattung der Sozialreportage noch breiter Raum gewidmet, schreibt Pollack in seinem Vorwort. Die rund um Hanna Krall und Ryszard Kapuscinski entstandene "polnische Schule der Reportage" werde nirgendwo so gepflegt wie in der 1989 gegründeten "Gazeta Wyborcza", jährlich erscheinen dort rund 300 Reportagen.
In dem Sammelband "Sarmatische Landschaften" berichten 25 Autoren von einem Landstrich, dessen Name heute kaum jemandem mehr geläufig ist. Sarmatien oder Sarmatia hieß in der Spätantike das Land zwischen Weichsel und Wolga, als sarmatische Tiefebene ist die Bezeichnung in der Wissenschaft noch heute geläufig. "Sarmatien ist eine Welten-Gegend, in der die Geschichte grausam gewütet hat wie kaum sonst wo", schreibt Pollack, "eine Gegend, vergiftet von gegenseitigem Hass und Verachtung, die Vorurteile und Feindbilder hervorbrachten."
Preisregen 2007
Sowohl als Autor als auch als Übersetzer wurden Pollack bereits zahlreiche Preise verliehen. So wurde ihm im Mai 2007 der "Preis zur Förderung der österreichisch-polnischen Beziehungen" für seine Übersetzungen der Bücher des Ryszard Kapuscinskis ins Deutsche zuerkannt. Im Juni 2007 folgte der mit 20.000 Euro dotierte Karl-Dedecius-Preis an Übersetzer.
Im Dezember 2007 erhielt er den mitteleuropäischen Literaturpreis "Angelus". Der mit umgerechnet 41.000 Euro dotierte Preis wird von der Stadt Wroclaw (Breslau) und der Tageszeitung "Rzeczpospolita" gestiftet und zeichnet das beste Buch des Jahres aus, das in Polen erschienen ist - und das war nach Meinung der Jury Pollacks "Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater", das Andrzej Kopacki ins Polnische übersetzt hatte.
Vom Verständnis füreinander geprägt
Ein Monat davor wurde Pollack der "Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" zuerkannt. "Pollacks Bücher (...) dokumentieren Geschichte und verzichten großteils auf Fiktion", hieß es in der Jurybegründung, "sein Blick auf Gewesenes erreicht die Leser somit unverfälscht und direkt. Er gibt Zeugnis von der Vergangenheit und weist damit einen Weg in eine Zukunft, die vom Verständnis füreinander geprägt ist."
In seiner Laudatio meinte Henryk M. Broder über Pollack, seine Tatsachenromane seien "Werke, die jeden Trend, jede Mode, jeden Schnickschnack überleben, der heute hipp und morgen ex ist. (...) Die Bücher von Martin Pollack sind Meisterwerke der journalistischen Literatur oder des literarischen Journalismus - wie sie es gerne wollen", so Broder.
Mehr zu Martin Pollack in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 10. Februar 2008, 14:05 Uhr
Buch-Tipps
Martin Pollack, "Warum wurden die Stanislaws erschossen? Reportagen", Zsolnay Verlag
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Martin Pollack, "Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater", Zsolnay Verlag
Martin Pollack, "Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann", Zsolnay Verlag