Sternstunden und Schwächen der UNO
Parlament der Menschheit
Paul Kennedy ist ein Kenner der Weltorganisation. Nach Recherchen zum Bericht zum 50-jährigen Bestehen der UNO. In "Parlament der Menschheit" beschreibt er nun die Sternstunden der UNO, aber auch ihre Schwächen und Herausforderungen.
8. April 2017, 21:58
Der legendäre UNO-Generalsekretär Dag Hammersköld sagte einmal: "Die UNO ist nicht dazu da, damit die Leute in den Himmel kommen, sondern um sie vor der Hölle zu bewahren." Doch leider halten sich die Erwartungen an den Himmel beharrlich. Und da die Vereinten Nationen diesen nicht bieten können, leidet ihr Image. Es ist ein immer wiederkehrendes Muster politischer Debatten, die UNO als ineffektiven Diskussionsklub zu verunglimpfen. Der Historiker Paul Kennedy analysiert diesen Vorwurf:
"Die UNO ist nichts anderes als eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und 192 Aktionären. Fünf Aktionäre haben ein Vetorecht, so wie der Milliardär Warren Buffet das etwa im Aufsichtrat einer Firma hat. (...) Wenn sich die mächtigen Nationen der Welt nicht einig sind, dann liegt die Schuld für den Stillstand nicht bei der UNO, sondern bei den Außenministerien und Regierungen der Staaten."
Unparteiischer Generalsekretär
Die Vereinten Nationen wurden formell 1945 gegründet. Einige Schwachstellen, so der Autor, gehen auf das Gründungsdokument, die UN-Charta, zurück. Dazu gehört etwa die Rolle des Generalsekretärs, der alle fünf Jahre gewählt wird. Laut Job-Beschreibung soll er unparteiisch und international angesehen sein. Die Gründungsmitglieder statteten den Generalsekretär zwar mit etwas mehr Macht aus als es beim Völkerbund der Fall gewesen ist, doch ein Alleingang ist ihm nie erlaubt.
"Er hat eine Rolle, wie man sie in einem Theaterstück aus dem 18.Jahrhunderte kennt: Der Diener zweier Herren", meint Kennedy. "Die Großmächte bevorzugen einen Generalsekretär, der neutral ist, einen unpolitischen Bürokraten."
Katalysator in Krisenzeiten
Der mittlerweile pensioniert Brian Urquhart war Untersekretär unter sechs UNO-Generalsekretären. Er wies Paul Kennedy auf eine andere wichtige Funktion hin: Der UNO-Generalsekretär sei eine Art Katalysator in Krisenzeiten. Das habe Brian Urquhart jedem neuen Generalsekretär aufs Neue gepredigt.
"Wenn eine Mission fehlschlägt oder ein Skandal ausbricht, dann ist es die Aufgabe des Generalsekretärs, die Schuld auf sich zu nehmen. Er ist der Sündenbock der Institution", meint Kennedy. "Solange Kofi Annan die Schuld für den Öl-für-Lebensmittel-Skandal auf sich nimmt und Boutros-Ghali für Ruanda geradesteht, humpelt die Institution weiter vor sich hin."
Peacekeeping-Einsätze
Die Ansprüche an die Vereinten Nationen stiegen im Lauf der Zeit: 1990 gab es neun UNO-Peacekeeping-Einsätze mit insgesamt 8.000 Blauhelmen. Nur drei Jahre später waren 80.000 UN-Truppen mit 19 Operationen befasst. In seiner Agenda für den Frieden 1992 präsentierte der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali neue Strategien zur Bewältigung von Konfliktfällen. Doch diese Agenda sei zu sehr nach dem Muster eines Fahrplanes angelegt gewesen, kritisiert Paul Kennedy:
"In diesem Stadium wendet man diplomatische Mittel an; in jenem greift man zu Wirtschaftssanktionen, um die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Nach einem Waffenstillstand kann man leicht bewaffnete Blauhelme entsenden. Wird auf diese geschossen, weil jemand nicht zu kämpfen aufhört, holt man sich ein neues Mandat und entsendet besser bewaffnete Peacekeeper."
Die Realität sah freilich anders aus. Die UNO sah sich gezwungen, neue Methoden und Konstellationen auszuprobieren. Paul Kennedy führt Beispiele an:
"Wenn das Kontingent zur Friedensdurchsetzung sich in Sierra Leone als zu schwach herausstellt, weil es von Macheten schwingenden Teenagern zurückgedrängt wird, dann braucht man ein effizienteres Kontingent. In diesem Fall stellte Tony Blair 2.000 Royal Marines zur Verfügung, die Ordnung schafften."
Spendenmüdigkeit der Industrieländer
Auf dem Schreibtisch des UNO-Generalsekretärs, so der Autor, landen immer sehr viel mehr Ansuchen um Missionen als tatsächlich realisiert werden können. Einer der Gründe dafür sei etwa eine gewisse Spendenmüdigkeit in der industrialisierten Welt. Länder wie Dänemark, Schweden und Kanada beteiligen sich weniger bereitwillig an UNO-Einsätzen als früher. Die Vereinten Nationen müssen also eine Wahl treffen, meint der Autor, wo sie sich engagieren. Die Kriterien der Wahl seien nicht immer fair.
"Die UNO kann nicht überall eingreifen, weil es, erstens, zu viele Krisenherde gibt, und, zweitens, weil permanente Mitglieder des Sicherheitsrates ihr Veto einlegen", erklärt Kennedy. "Es ist sehr schwierig, ein großes, schlagkräftiges Kontingent in den Sudan zu schicken, wenn China dagegen ist. Wir können nichts in Tschetschenien unternehmen, weil Russland auf seine Oberhoheit pocht. Im Fall von Tibet reklamiert China Souveränität. Die UN-Charta ist schon so formuliert, dass nicht alles durchsetzbar ist."
Reformen unwahrscheinlich
Um die Machtverhältnisse im Sicherheitsrat zu ändern, werden immer wieder zwei mögliche Reformen diskutiert: Die Erweiterung des Sicherheitsrates, sowie die Abschaffung des Vetorechtes. Paul Kennedy hält beides für bestenfalls Langzeitpläne. Seine Prognose für die nächste Zukunft: Bei der UNO wird alles so weitergehen wie bisher.
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Buch-Tipp
Paul Kennedy, "Parlament der Menschheit", C. H. Beck Verlag