Wie aktuell ist der Klassiker?

Vom Kriege

Carl von Clausewitz' Hauptwerk "Vom Kriege" wird auch heute noch an vielen Militärschulen gelesen und interpretiert. Wie weit Clausewitz' Interpretationen auf heutige Konflikte anwendbar sind, hat der Militärhistoriker Hew Strachan untersucht.

Es gibt wohl wenige Theoretiker des Krieges, die so bekannt sind wie der 1780 nahe von Magdeburg geborene spätere preußische General und Militärhistoriker Carl von Clausewitz. Sein posthum erschienenes Hauptwerk "Vom Kriege" wird auch heute noch an vielen Militärschulen gelesen und interpretiert. Was aber ist nun das Interessante an diesem fast 200 Jahre alten Text? Hew Strachan, Professor für Militärgeschichte und ein profunder Kenner des Werkes von Carl von Clauseweitz, versucht in diesem Buch eine Antwort auf diese Frage.

Technischer Wandel

Die wichtigsten Passagen seines Werkes schrieb Carl von Clausewitz in Anbetracht der napoleonischen Feldzüge. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte er eine Analyse des Krieges der damaligen Zeit. Und diese Analyse ist auf heutige Konflikte nur bedingt anwendbar. Auffällig sei, so Hew Strachan, dass von Clausewitz trotz seines Interesses an Physik und Mechanik die Folgen des technischen Wandels in seinem Werk so gut wie nicht berücksichtigte.

Wenn Clausewitz über die Zukunft des Krieges nachgrübelte, sah er die Veränderungen nur im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Auch hier beeinflusste seine eigene Zeit sein Denken zutiefst. Der Krieg im Zeitalter Napoleons wurde nicht durch technische Neuerungen geprägt, sondern durch eine gesellschaftliche und politische Revolution.

Das Phänomen Krieg

Strategie und Taktik, Kriegerische Tugenden des Heeres, oder die Wirkungsarten des Korps: Carl von Clausewitz versuchte sich an einer allumfassenden Darstellung des Phänomens Krieg. Das Buch enthielt Anweisungen, wie ein Kampf siegreich zu bestehen sei ebenso wie historische Abhandlungen über alte Schlachten.

Es sei sehr leicht, aus heutiger Sicht an Clausewitz herumzumäkeln, schreibt Hew Strachan. Zu eurozentristisch seien die Abhandlungen, über den Seekrieg finde sich gar nichts und über die wirtschaftlichen Zusammenhänge nur sehr wenig.

Das größte Problem aber sei, dass "Vom Krieg" in einer Zeit geschrieben wurde, in der ausschließlich souveräne Staaten Krieg führten und auf internationales Recht so gut wie keine Rücksicht genommen wurde. Die asymmetrische Kriegsführung, wie sie heute im Terror gang und gäbe ist und Kampfhandlungen, deren Ziel - nicht wie zu Clausewitz' Zeiten - der Friede, sondern eine weitere Verunsicherung der Bevölkerung ist, auf all das wusste der Theoretiker des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts naturgemäß keine Antwort.

Taktik und Strategie

Aus all diesen Gründen wurde Clausewitz schon des Öfteren für tot erklärt. Was soll man von einem lernen, der noch in großen Schlachten dachte, von moderner Waffen- und Nachrichtentechnik keine Ahnung hatte und der sich - zu allem Überdruss - in seinem Werk auch immer wieder selbst widerlegte? Und selbst der Kern seines Werkes - das Zusammenspiel von Taktik und Strategie - spiegeln laut Strachan die Debatte des frühen 19. Jahrhunderts wider und seien nicht besonders originell.

Sollte die Infanterie in Linien aufgestellt sein, um eine maximale Feuerkraft zu erreichen, oder in Kolonien, um mehr Wucht und Beweglichkeit zu ermöglichen? Wie viele Kanonen konnte eine Armee in Anbetracht der Feuerkraft der Feldartillerie problemlos mit sich führen, ohne die eigene Beweglichkeit aufs Spiel zu setzten?

Amerikanische Militärs beeinflusst

Sind also die Schriften von Clausewitz im 21. Jahrhundert noch von Relevanz? Indirekt ja. Denn Strachan zeigt, dass vor allem hohe amerikanische Militärs von der Clausewitz-Lektüre beeinflusst sind. Colin Powell zum Beispiel, der im Jahre 1983 leitender militärischer Assistent des damaligen Verteidigungsministers Caspar Weinberger wurde. Weinberger wollte die amerikanische Armee stärken und fand die Anregung dazu in Clausewitz' Buch "Vom Kriege". Im November 1984 formulierte Weinberger die Kriterien für den Einsatz amerikanischer Soldaten im Ausland:

Wie Clausewitz schrieb "Niemand beginnt einen Krieg - oder vielmehr niemand sollte vernünftigerweise einen Krieg beginnen - ohne sich zunächst darüber klar zu werden, was wer mit diesem Krieg erreichen will und wie er ihn führen will.

Klare politische Ziele

1992 wurde Colin Powell Chef des Generalstabes. Als im ehemaligen Jugoslawien der Völkermord begann und die amerikanische Öffentlichkeit vehement eine militärische Intervention einforderte, berief sich Powell auf die Weinberger-Doktrin und betonte die Notwendigkeit klarer politischer Ziele, bevor amerikanische Truppen auf den Balkan geschickt werden konnten.

Hew Strachan bemüht sich redlich, dem Leser das äußerst komplexe Werk von Carl von Clausewitz nahe zu bringen. Es gelingt ihm aber nur bedingt. Zu lange und zu ausführlich beleuchtet der Militärhistoriker die verschiedensten Aspekte des umfangreichen Buches. Er verliert sich in Details, die für Nichtmilitärs nur von peripherem Interesse sind. Und so bleibt am Ende für den durchschnittlichen Leser wohl nicht viel mehr übrig als jenes bekannte Zitat, das auch das Cover des Buches schmückt: "Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln."

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Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Hew Strachan, "Carl von Clausewitz, Vom Kriege", dtv Verlag