Erst die Zwänge ermöglichen das Spezifische
Dietger Wissounig
Im März gibt Turn On im Wiener Radiokulturhaus wieder einen Überblick zur Architekturszene Österreichs. Die Präsentationen werden durch den Turn On Talk ergänzt. Thema ist die Zeit von 1968 bis 2008. Wir haben dazu die Vortragenden um Statements gebeten.
8. April 2017, 21:58
Sporthallen, Seniorenheime, Museen, Universitäten, Spitäler finden sich in der Projektliste des Grazer Architekturbüros Dietger Wissounig Architekten. Bauen versteht Dietger Wissounig, Jahrgang 1969, als kulturellen Beitrag. Gebrauchswert, Wirtschaftlichkeit und konstruktive Lösungen stehen im Zentrum seiner Arbeit. Seine weiteren Positionen finden Sie im Folgenden.
Was muss Architektur aus Ihrer Sicht leisten?
Neben den Anforderungen und Zielen, die von Seiten der Bauherren, öffentlichen Planungsstellen und vom Architekten selbst an ein Projekt herangetragen werden, verstehe ich Bauen vor allem als kulturellen Beitrag, der Identität vor dem Hintergrund eines bestimmten Ortes, mit einer bestimmten Geschichte, stiftet.
Fühlen Sie sich in Ihrer Entwurfsarbeit frei, Ihre Kreativität zu entfalten, oder sehen Sie sich überwiegend äußeren Zwängen unterworfen? Wenn ja, welchen?
Entwerfen folgt immer gewissen Zielvorstellungen und Haltungen, ob vom Nutzer, Bauherren, von der Stadtplanung oder vom Architekten selbst. Insofern ist der Inhalt des Bauens nie frei von Zwängen. Im Gegenteil, ein großzügiger Umgang mit Zwängen ermöglicht erst das "Spezifische" eines Gebäudes.
Gibt es so etwas wie eine "68er-Architektur" aus Ihrer Sicht, und wenn ja, welches wäre ihr herausragendes Beispiel?
Nicht so sehr das Revoltieren gegen Bestehendes, vielleicht auch konservativ Verkrustetes stellt für mich den interessanten Teil der "68er Architektur" dar, sondern vielmehr das eingehen auf die zu erwartenden gesellschaftlichen Entwicklungen und das Übersetzen in Strukturen und Module. Am interessantesten sind dabei die Arbeiten von Cedric Price.
Wo sehen Sie die großen Kontinuitäten von 1968 bis heute, wo die Brüche?
Im Sinne eines Nachdenkens über gesellschaftliche Bedürfnisse sehe ich die Kontinuität in Ressourcen schonenden, intelligenten Gebäuden - dabei meine ich auch nachhaltige Baukultur. Brüche sehe ich in Gebäuden, in denen sich die Inhalte vom Ausdruck lösen, etwa rein formale Expressivität.
Konnte sich die Kreativität vor vierzig Jahren freier entfalten oder wird diese Zeit im Nachhinein verklärt?
Viele der damaligen Bauten und Umsetzungen waren getragen von einer Aufbruchsstimmung, die den Weg befreiten für einige sehr interessante Projekte in den 1970er Jahren. Insofern war es vermutlich eine sehr spannende Zeit.
Karriere und Vermarktung spielen heute eine wichtige Rolle. Steht dies der Kreativität von Architekt/innen entgegen?
Nicht zwangsläufig. Schwierig wird es jedoch dort, wo sich das Dargestellte vom Inhaltlichen löst, wo die Kernkompetenz des Architekten zur Nebensache wird.
Spielen vergangene Entwicklungen und Traditionen für Sie als Architekt eine Rolle, oder dominieren Ihre Arbeit Fragen der Gegenwart?
Der Vorteil, vergangene Ideen an ihren Ausführungen überprüfen zu können, ist sehr hilfreich für Fragen der Gegenwart. Wie gut haben sich Entwicklungen umsetzen lassen? Wie viele der Intentionen haben tatsächlich das gewünschte Ergebnis gebracht?
Was würden Sie gerne entwerfen/bauen, wenn Sie keinen äußeren Zwängen unterworfen wären?
Aufgaben, in denen es stark auf die Kernthemen der Architektur ankommt, ziehen naturgemäß an, wie Bauten, in denen der Raum oder die Lichtführung zentrale Themen sind. Oder sehr große landschaftsbildende Gebäude.
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