Viel gewagt und alles gewonnen

Gery Seidls Solo-Premiere

Der Bauleiter Roman Schweißer wird in ein Theater geschickt wird, um es zu renovieren. Zum Teil einer Politikintrige gemacht, soll er das Theater niederreißen. In der Rolle des Roman Schweißer spielt, singt und musiziert Gery Seidl, frisch gebackener Kabarettpreisförderträger.

Ausschnitt aus dem neuen Programm von Gery Seidl

Gery Seidl, die hintere Hälfte des ehemaligen Duos Walter Seidl, wagt sich nun solo vors Publikum. "Wegen Renovierung offen" heißt sein Programm, mit dem er im Jänner im Kabarett Niedermair in Wien Premiere hatte. Schauplatz ist ein Kabarett-Lokal, das abgerissen werden soll.

"Heute gibt es kein vertagen - heute wird der Wurschtl erschlagen! Heute geht ihm der Schmäh aus - im eigenen Haus" singt Seidl im Stil eines Nestroy-Couplets.

Doch schön der Reihe nach: zunächst soll das Kabarett-Lokal nicht gesprengt, sondern renoviert werden. Gery Seidl tritt als Bauleiter Roman Schweißer auf. Eine Rolle, die ihm gar nicht so fremd ist.

Von der Baustelle zur Schaustellerei
"Ich habe sechs Jahre lang als Bauleiter gearbeitet" erzählt er im Interview, "ich wollte zwar schon in der Schule Schauspieler werden, aber meine Eltern haben gemeint, jetzt lern einmal was G’scheites, was Richtiges, dann kannst du immer noch Schauspieler werden."

Kein Zweifel, Gery Seidl kennt die Gepflogenheiten der Bau-Branche. Zum Beispiel wenn er einen der Arbeiter um ein paar Wurstsemmeln schickt und meint "Aber bitte nicht wieder mit der Scheibtruhe ins Geschäft fahren. Wir haben schließlich auch Kultur."

In der Zwischenzeit verfolgt der sogenannte Regenbogenmann ganz andere Interessen. Er, der Parteifreund aller Farben, ist am Abriss des Kabarett-Lokals interessiert. Schließlich ließe sich mit einer Tiefgarage ein viel besseres Geschäft machen als mit der Kleinkunst.

Poetische Momente
"Wuchteln schieben ist leicht" analysiert Seidl sein Gewerbe, "zehn Minuten ist jeder lustig. Mein Nachbar beim Gartengießen ist auch lustig. Aber mir ist wichtig, dass das Publikum auch bei den ruhigeren Passagen mitgeht."

Anders als Roland Düringer, der einem beim Thema "Bauen & Kabarett" zwangsläufig in den Sinn kommt, erzeugt Gery Seidl in seinem Solo immer wieder ganz stille, poetische Momente. Etwa durch die Figur des geheimnisvollen, greisen Joi, der, mit einem Besen in der Hand, durchs Theater geistert, Trompete spielt und von vergangenen Zeiten träumt. Für Seidl eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass er nicht nur Gitarre spielen, komisch und tragisch sein kann, sondern auch noch ein Blasinstrument beherrscht. "Es ist offenbar so, dass jeder, der aus einem Duo kommt, beim ersten Solo-Programm die Angst hat, dass der Zweite fehlt. Man will das kompensieren."

Widerstand regt sich
Der alte Joi ist ein sonderbarer, unbequemer Geselle. Unbequem deshalb, weil er Fragen stellt, die nicht so einfach zu beantworten sind. "Wohin geht das Licht, wenn es ausgeht?" Oder: "Wohin geht die Liebe, wenn sie geht?" Zum Anwalt, vermutet Bauleiter Schweißer. Nicht nur die Existenz des Theaters ist in Gery Seidls Stück gefährdet, auch das in Routine erstarrte Lebenskonzept der Hauptfigur gerät ins Wanken. Als Schweißer den Befehl erhält, die Bühne nicht zu sanieren, sondern zu sprengen, leistet er Widerstand.

Hungerstreik, Unterschriftenaktion, Rede im Gemeinderat - mit all seinen Bemühungen zur Erhaltung der Kabarett-Bühne erntet Schweißer nichts als Gelächter. Also probiert er es mit Beten. "Wie lang muss man das machen, dass es hilft?" fragt er einen anderen Kirchenbesucher.

Ein Wink des Lebens
Erst der seltsam-provokante Joi ist am Ende im Stande, Schweißer aus seiner Sinnkrise zu befreien. "Joi ist der gute Geist des Theaters, er könnte aber auch einfach eine Seele sein, ein Gedanke, oder ein ärztlicher Befund, den man nicht lesen will. So ein Wink, das Leben zu ändern". Die dringend nötige Richtungsänderung wird durch eine von Jois simplen Fragen ausgelöst: "Warum fliegt der Storch im Winter in den Süden?" Einfache Antwort: "Weil’s Zeit ist."

Preisgekröntes Programm
Gery Seidl hat mit seinem ersten Soloprogramm "Wegen Renovierung offen" viel gewagt und alles gewonnen. Glaubhaft verkörpert er sein vielfältiges Personal - von der unbedarften Sekretärin bis hin zum abgefeimten Geschäftemacher. Lob gebührt hier auch dem Regisseur Thomas Mraz und dem musikalischen Leiter Marco Annau. Bewegt sich Seidl als ehemaliger Bauleiter im ersten Teil noch auf sicherem Terrain, eben auf der Baustelle, so dringt er in der zweiten Hälfte in sensible Seelenlandschaften vor und überrascht mit weitaus mehr Tiefsinn als seinerzeit im Duo mit Gerhard Walter. Der eine oder die andre im Publikum hat da sogar vor lauter Rührung eine Träne verdrückt.

Gerry Seidl wurde für seine Leistung am 5. Dezember 2008 im Wiener RadioKulturhaus mit dem Förderpreis des Österreichischen Kabarettpreises 2008 ausgezeichnet.

Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 7. Dezember 2008, 22:05 Uhr

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