Zum 80. Geburtstag von René Clemencic
Die Magie der Töne entdecken
In der Kunst und Wunderkammer des René Clemencic werden nicht nur die Gesetze der chronologischen Zeit außer Kraft gesetzt, sondern auch Kontinente und Kulturen zusammengeführt. Zum 80. Geburtstag des Musikers und Komponisten René Clemencic.
8. April 2017, 21:58
René Clemencic probt
Im Musikzimmer der Wohnung von René Clemencic werden die Concerti Sacri von Chiara Maria Cozzolani probiert. Der Hausherr musiziert mit dem Countertenor Terry Wey, dem Sopran Radu Marian und dem Barockgitarristen Pierre Pitzel. Geprobt wird für das Konzert "In Dulci Jubilo", das in der Wiener Albertina aufgeführt werden soll.
Der schwere Perserteppich liegt zusammengerollt unter dem Klavier. Auf dem blanken Holzboden haben die Musiker ihre Notenständer aufgestellt. Sie sitzen auf einer Lichtung im Dickicht der Skulpturen, die das Musikzimmer bevölkern.
Kunst- und Wunderkammer
Lorenzo Bartolinis klassizistische "Marmorbüste eines Jungen Mädchens" tritt hier in Dialog mit der Tonfigur eines nackten Kriegers aus der Han-Dynastie aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Im Schatten einer zimmerhohen hölzernen Schlitztrommel aus Vanuatu, den früheren Neu-Hebriden, steht das Cembalo.
Es ist eine Kunst- und Wunderkammer, die sich der Musiker und Komponist René Clemencic gebaut hat. In diesem Raum ist die Chronologie der Zeit aufgehoben. Dem Gedanken der antiken griechischen Tragödie folgend wird hier die Einheit von Ort, Zeit und Handlung zum universellen Gestaltungswillen.
Materiell gewordene Gedanken und Gefühle
Die Skulpturen der Sammlung Clemencic repräsentieren innere Objekte des Musikers. Es sind materiell gewordene Gedanken und Gefühle, die er in diesen Kunstwerken gefunden hat. Es sind Aspekte seiner Person, die er miteinander sprechen und atmen lässt.
In der Kunst- und Wunderkammer des René Clemencic werden nicht nur die Gesetze der chronologischen Zeit außer Kraft gesetzt, sondern auch Kontinente und Kulturen zusammengeführt. Der Sprachwissenschaftler Herbert Maurer: "Das ist eine alte humanistische Tradition: es gibt nichts Fremdes. Es geht darum, über Kulturen und Zeiten hinweg das Gemeinsame, das Verbindende zu finden."
Ein Kind der Donaumonarchie
René Clemencic ist ein Reisender - und ein Brückenbauer. Am 27. Februar 1928 in Wien geboren, bezeichnet er sich selbst als Kind der Donaumonarchie. Seine Vorfahren stammen aus Istrien, Slowenien, Mähren und Polen. Zu Hause sprach er mit seinem Vater, einem Notar, nur italienisch, und mit seiner Mutter deutsch. Als Kind lernte er Klavier, später Blockflöte am Konservatorium bei Hans Ulrich Stebs. Die Musik, vor allem die alte Musik, bot einen Rückzugsort, sie ermöglichte die innere Emigration in den Jahren während des Krieges und des Hitlerfaschismus.
Er studierte in Wien und in Paris an der Sorbonne und dem College de France. 1956 dissertierte er über den französischen Philosophen Louis Lavelle. Gleichzeitig setzte er in Wien sein Flötenstudium fort, und zwar an der damaligen Musikakademie bei Josef Mertin. Dieser weckte bei dem jungen Flötisten das Interesse für die so genannte "Alte Musik".
Kontakt zur musikalischen Avantgarde
In Berlin, Amsterdam und Wien suchte Clemencic aber auch jene Musiker auf, die sich der musikalischen Avantgarde der Weimarer Republik und der 1. österreichischen Republik verbunden fühlten. Er studierte Formenlehre bei Erwin Ratz und Musiktheorie bei dem Schönbergschüler Josef Pollnauer.
Ende der 1950er Jahre entschloss sich René Clemencic, die "Alte Musik" zu seinem Beruf zu machen. Obwohl ihm Freunde davon dringend abgeraten haben, wie er erzählt. Aus ihrer Sicht war nämlich das Interesse für diese spezielle Musik nicht groß genug, um mehr als ein Konzert pro Jahre zu geben. Doch wenn man die Literatur, die Malerei, die Skulptur und die Architektur des Mittelalters und der Renaissance schätze, dann müsse das auch für die Musik dieser Epochen gelten, davon war René Clemencic überzeugt.
Gründung seines ersten Ensembles
1958 gründete er sein erstes Ensemble, aus dem sich später das Clemencic Consort entwickelte. 1966 initiierte er in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien den Konzertzyklus "Musica Antiqua: Lebendige alte Musik". So erklangen im Brahmssaal des Wiener Musikvereins bis heute rund 260 Konzerte mit Werken durchwegs unbekannter Komponisten.
René Clemencic: der Musiker und Dirigent, der Rechercheur von mittelalterlichen Notationen und Traktaten, ist heute in der Musikwelt eine Schlüsselfigur zum Verständnis und der Aufführungspraxis so genannter Alter Musik geworden. Durch seinen eigenwilligen Weg, den er beim Komponieren beschritten hat, lässt er sich jedoch nur schwer in die zeitgenössische Musikszene Wiens einordnen. Wer die Partituren von René Clemencic aber lese, so erklärt Otto Biba vom Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde, kann erkennen, dass vieles in seiner Tonsprache umgesetzt ist, was sich über Jahrhunderte bewährte.
Für René Clemencic lebt die Musik durch ihre Interpreten. Darum verändert sie sich. Denn verklingt ein Ton, muss er wieder neu zum Leben erweckt werden. Beim Komponieren wie beim Musizieren will er das Wirken der Klänge in ihrer ursprünglichen Magie entdecken.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 25. Februar 2008 bis Donnerstag, 28. Februar 2008
Buch-Tipp
René Clemencic, "Musika Antiqua", Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bucher Verlag
Link
René Clemencic