Die Tullio-Serafin-Story - Teil 3

Opernsternstunden in Rom

Er war "ein Maß, das heute fehlt": Tullio Serafin. Neun Jahre hat er die Oper in Rom geleitet. Allein das Lesen der Chronik lässt bei Opernfreunden gleichsam das Wasser im Mund zusammenfließen ob der Besetzungs-Highlights.

Was in den knapp neun Jahren, in denen Serafin die Oper in Rom geleitet hat, sich dort an künstlerischen Höchstleistungen abgespielt haben muss, lässt einem nur beim Lesen der römischen Chronik gleichsam das Wasser im Mund zusammenfließen. Zum Beispiel Traviata mit Muzio und Gigli, Faust mit Lauri-Volpi, Favorita mit Gigli und Stracciari, Forza, Maskenball, Gioconda, alles mit Gigli, ebenso Andrea Chenier und Lohengrin, Mefistofele mit Pinza, Falstaff mit Stabile.

Und Aida: Da gab es etwa eine Serie von elf Vorstellungen, in denen allein als Radames Gigli, Pertile und Merli alterniert haben, und Zauberflöte mit Tito Schipa als Tamino, Erna Sack als Königin und Tancredi Pasero als Sarastro. Wobei das Wichtigste an diesen Konstellationen aber war, dass alle diese Vorstellungen zu einem Großteil von Serafin selbst geleitet worden sind und, wenn er schon nicht selbst am Pult gestanden ist, dann hießen die an einer Hand abzuzählenden zweiten Dirigenten immerhin Vincenzo Bellezza oder Olivero de Fabritiis.

Keine Eifersucht

Daneben haben immer wieder auch Komponisten ihre eigenen Werke geleitet, etwa Mascagni oder Giordano oder Refice und so weiter und es hat auch viele interessante Gastspiele gegeben, zum Beispiel unter Krips, De Sabata, Karajan... Kurz gesagt, Serafin war hier alles andere als eifersüchtig!

Ein ganz besonderes Ereignis war in der Spielzeit 37/38 die erste vollständige Wiedergabe von Wagners "Ring des Nibelungen" in Rom in italienischer Sprache. Gleich dreimal wurde in dieser Saison die komplette Tetralogie gespielt plus einer zusätzlichen Vorstellung der Walküre und der Erfolg war geradezu sensationell.

Poppea und Falstaff
Die Saison 1942/43 war die letzte Tullio Serafins als Chef der römischen Oper. Er hat sie mit Spontinis Vestalin eröffnet, ließ anschließend Donizettis Poliuto ausgraben, dirigierte selbst einen neuen Rosenkavalier - Hilde Güden hat dabei einmal die Sophie gesungen - und er leitete auch selbst zwei Mal den kompletten Ring.

Anlässlich des 300. Todestages von Claudio Monteverdi ist er dann bei dessen "Krönung der Poppea" am Pult gestanden, um schließlich am 8. Mai 1943 die Saison mit Falstaff zu beschließen und damit war auch das Ende seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter der römischen Oper erreicht.

Umjubelter Gastdirigent in Wien
Nach der Entmachtung Mussolinis war er nicht mehr bereit, die schwere Verantwortung weiter zu tragen und schon gar nicht war er gewillt, sich den deutschen Besatzern unterzuordnen. Schweren Herzens hat er also Rom verlassen, sich für mehr als ein Jahr total aus dem Musikleben zurückgezogen, um sofort nach Kriegsende wieder mit dem Aufbau des musikalischen Lebens in Italien zu beginnen: an der Scala, in Rom, in Verona - wo schließlich auch das eigentliche Debüt der Callas stattgefunden hat - und so weiter.

Auf Einladung Karajans war er Anfang der 1960er Jahre auch umjubelter Gastdirigent an der Wiener Staatsoper und er hat in seinen letzten Jahren vor allem auch viele, Maßstab setzende Schallplatten aufgenommen.

Letztes Auftreten als Dirigent
Ganz am Ende seiner Laufbahn hat sich Serafin dann entschlossen, nur mehr in Rom aufzutreten und darüber hinaus der dortigen Oper, der er so viele Jahre zuvor zu einer nie mehr erreichten Hochblüte verholfen hatte, auch als eine Art künstlerischer Berater zur Verfügung zu stehen.

So hat also auch sein letztes Auftreten als Dirigent an der römischen Oper stattgefunden und zwar bei Wagners Meistersingern am 25. Jänner 1964 mit Giuseppe Taddei als überzeugendem Hans Sachs. Bei der Premiere aber wurde es für ihn dann doch zuviel, die vorangegangenen Orchester- und Ensembleproben, die Generalprobe und das alles innerhalb von einer Woche, hatten ihn so überanstrengt, dass er während der Vorstellung eingeschlafen ist, ein Ersatzdirigent musste die Premiere zu Ende bringen.

Damals hat er erkannt, dass nun endgültig die Zeit gekommen war, vom Dirigentenpult Abschied zu nehmen. Vier Jahre später, am 3. Februar 1968, ist Tullio Serafin in Rom gestorben, fast 90 Jahre alt, umgeben von seinen geliebten Partituren, die er bis zuletzt studiert hatte.

Sorge um Struktur des Musiklebens
Eine große Sorge aber hat diese letzten Jahre Serafins überschattet und zwar der zunehmende Wandel in der Struktur des Musiklebens: "Schwerlich gibt es eine chaotischere Situation als die der italienischen Opernhäuser und somit der Musik in Italien", äußerte er in einem Interview. "Schuld daran ist ein Mangel an Liebe. Manche Intendanten und viele mit der Führung von Theatern Betraute sind ganz einfach inkompetent und verstehen von Musik und Theater gar nichts."

Und seine Enkelin Donatella mahnte er: "Schau: die Welt, die Musik... die Welt ist Musik, nicht unsere Welt, sondern eure, die von euch Jungen, auf dass es euch gelinge, alles mit Hoffnung und Enthusiasmus zu erfüllen... Aber ich bitte dich: Liebe sie, diese, meine Musik, denn heute beginnt man, sie nicht mehr zu lieben..."

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