Die Einsamkeit zu zweit
Der lange Gang über die Stationen
Mit Akribie und psychologischem Gespür schildert Reinhard Kaiser-Mühlecker in seinem Debütroman das Leben des Jungbauern Theodor. Das Buch überrascht trotz seiner nüchternen Erzählweise durch Berührung und Emotion.
8. April 2017, 21:58
In seinem Erstlingswerk, dem Roman "Der lange Gang über die Stationen" beschreibt Reinhard-Kaiser Mühlecker das Leben des Jungbauern Theodor. Als Erbe eines Hofes folgte dieser Ich-Erzähler den unausgesprochenen elterlichen Wünschen und heiratete eine junge Frau aus der Stadt.
Die Eheleute teilen zwar Tisch, Bett und Arbeit, schweigen sich aber über persönliche vergangene Ereignisse, sowie wirtschaftliche Zwänge aus. Ein Besuch bei einem früheren Freund der Ehefrau in Wien beunruhigt den Jungbauern zusätzlich und es kommt zu einer langsamen und gefühlsintensiven Entfernung voneinander.
Theodor zieht sich zurück, verkümmert innerlich, schafft es nicht, seiner Frau über die verheerende wirtschaftliche Situation und sein Gefühlsleben zu berichten, hüllt sich in Schweigen, versteht die geschehenen Ereignisse nicht und lebt in dem Gefühl, eine Entwicklung übersehen zu haben.
Lebens- und Gefühlsstationen
Mit Akribie und psychologischem Gespür schildert Reinhard Kaiser-Mühlecker die zunehmende Dumpfheit des Ich-Erzählers. Der Titel des Romans "Der lange Gang über die Stationen" verweist auf den Gang zwischen den Lebens- und Gefühlsstationen, die in den 1950er Jahren in eine ländliche Umgebung eingebettet sind.
Das Stadt-Landverhältnis, die zunehmenden wirtschaftlichen Zwänge, spielen dabei aber eine sekundäre Rolle, so Reinhard Kaiser-Mühlecker. Im Vordergrund stehe die zunehmende Distanzierung der beiden Protagonisten. Heimat wolle er weder in idyllisierender noch dämonisierender Weise darstellen. Er selbst bezeichnet sich als Heimatlosen.
Fernab jeder Plattitüde
"Der lange Gang über die Stationen" ist ein Buch, das trotz seiner nüchternen Erzählweise durch Berührung und Emotion überrascht: eine distanzierte Nähe, die durch die Reflexionen des Ich-Erzählers Theodor erstellt und forciert wird und die Auslassungskunst des Autors beweist. Reinhard Kaiser-Mühlecker will dem Leser zwischen den Zeilen Raum für eigene Ideen lassen.
Der Autor gibt sich aber nicht mit Befindlichkeitsprosa zufrieden. Er arbeitet mehr mit Feststellungen als versuchter Kritik, schwadroniert nicht, sondern "beschreibt" und schafft so einen beeindruckenden Roman fernab jeder Plattitüde und jedes konfusen Wortschwalls. Er überzeugt durch Affinität für eine distanziert berührende Sprache, die durch seinen Stil, das gekonnte Setzen und Versetzen der Worte, zustande kommt: an manchen Stellen unrund, rau, abgehackt - das aber mit gewählter Präzision.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 2. März 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Der lange Gang über die Stationen", Hoffmann & Campe Verlag