Architektur ist Klang

Johannes Wiesflecker

Im März gibt Turn On im Wiener Radiokulturhaus einen Überblick zur Architekturszene Österreichs. Die Präsentationen werden durch den Turn On Talk ergänzt. Im Mittelpunkt steht dieses Mal der Zeitsprung 1968 bis 2008. Dazu hat oe1.ORF.at auch alle Vortragenden befragt.

Johannes Wiesflecker wurde 1961 in Brixlegg in Tirol geboren. Architekturstudium an der Universität Innsbruck bei Othmar Barth, Josef Lackner, Robert Schuler und Leopold Gerstel. Gründungsmitglied bzw. langjähriger Vorsitzender des Architekturforums Tirol, jetzt "aut. architektur und tirol".
1994 Bürogründung in Innsbruck.

Was muss Architektur aus Ihrer Sicht leisten?
architektur ist für mich das konzeptionelle generieren von räumen. bestenfalls klingen diese räume beim raum- und stadtbenutzer.

Fühlen Sie sich in Ihrer Entwurfsarbeit frei, Ihre Kreativität zu entfalten, oder sehen Sie sich überwiegend äußeren Zwängen unterworfen? Wenn ja, welchen?
dazu eine kleine geschichte: vor einigen jahren saß ich mit meiner frau, einem befreundeten künstler und dessen frau auf unserer terrasse. im verlauf des wunderbaren sommerabends, es wird wohl die eine oder andere flasche wein bereits leer gewesen sein, sagt die "künstlerfrau", dass ihr mann die architektenprofession mit den vielen randbedingungen viel klarer findet, als die freiheit der kunst! meine frau lacht – da ich ihr einige tage vorher erklärt habe, dass ich doch lieber künstler mit den freiheiten der kunst wäre! es war ein wirklich schöner abend!

Gibt es so etwas, wie eine "68er-Architektur" aus Ihrer Sicht, und wenn ja, welches wäre ihr herausragendes Beispiel?
ich denke, der wesentliche input ist die verbreiterung der architekturdiskussion in gesellschaftsbelange hinein. mitbestimmungsmodelle, neue experimentelle wohnformen, neuartige stadtstrukturen usw. sind ansätze der "68er-architektur". spontan nennen möchte ich die wohnblase von coop himmelblau durch zürich rollend und die arbeiten von archigram im bereich der großen stadtstrukturen.

Wo sehen Sie die großen Kontinuitäten von 1968 bis heute, wo die Brüche?
ich sehe insgesamt eine kontinuität in der architekturentwicklung des 20.jahrhunderts bis heute, mit einem input in den 60er jahren und einer verirrung in den 80er jahren. sorge bereitet mir die hinwendung zur oft inhaltslosen, "geilen" fassade.

Konnte sich die Kreativität vor vierzig Jahren freier entfalten oder wird diese Zeit im Nachhinein verklärt?
ich denke, dass kreativität immer eine energieaufwendige auseinandersetzung mit der zeit und den zeitgenossen ist - ich halte sehr viel von der obigen kleinen geschichte!

Karriere und Vermarktung spielen heute eine wichtige Rolle. Steht dies der Kreativität von Architekt/innen entgegen?
dieser starkult ist schlichtweg entsetzlich und entspricht voll und ganz unserer seitenblickegesellschaft.

Spielen vergangene Entwicklungen und Traditionen für Sie als Architekt/in eine Rolle, oder dominieren Ihre Arbeit Fragen der Gegenwart?
die architekturentwicklung und die architekturtradition spielen für mich eine große rolle. ich denke, dass das wissen über diese traditionen und entwicklungen für die beantwortung der fragestellungen der gegenwart unumgänglich ist. ich bin oft und oft verblüfft, über die konzeptionelle modernität in den historischen konzepten und gebäuden. ich persönlich habe sehr großen respekt vor den leistungen der vorgängergenerationen - vielleicht sogar zu große!

Was würden Sie gerne entwerfen/bauen, wenn Sie keinen äußeren Zwängen unterworfen wären?
das thema zwänge habe ich bereits beantwortet. sehr gerne würde ich räume für kunst oder meditation entwerfen. also relativ ultimative räume mit einer klaren ausrichtung auf raumproportion und atmosphäre. othmar barth hat uns als höhersemestrige studenten manchmal die frage gestellt – sind sie schon so weit, dass sie "einen" raum entwerfen können? langsam könnte man wohl einen versuch starten!