Roger Diener

Heute beginnt im Wiener Radiokulturhaus das Architekturfestival Turn On. Ziel ist es, einen Überblick zur Architekturszene Österreichs zu geben. Die Präsentationen werden durch den Turn On Talk ergänzt. Im Mittelpunkt steht dieses Mal der Zeitsprung 1968 bis 2008.

Roger Diener, geboren 1950, übernahm das 1942 gegründete Büro seines Vaters Marcus Diener und gründete 1980 das Büro Diener & Diener Architekten, in dem heute 55 Mitarbeiter in Basel und Berlin arbeiten. 2002 verlieh ihm die Académie Française den Architekturpreis für das Gesamtwerk. Nach seiner Professur in Lausanne und Gastprofessuren an verschiedenen Architekturschulen Europas und in Harvard lehrt Roger Diener am ETH Studio Basel, "Contemporary City Institute".

Was muss Architektur aus Ihrer Sicht leisten?
Architektur soll den Menschen einen Raum bieten zu ihrer schöpferischen Entfaltung.

Fühlen Sie sich in Ihrer Entwurfsarbeit frei, Ihre Kreativität zu entfalten, oder sehen Sie sich überwiegend äußeren Zwängen unterworfen? Wenn ja, welchen?
Ja, in unserem Atelier fühlen wir uns frei, unsere Kreativität zu entfalten, denn unsere Kreativität will sich nicht über die Bedingungen der Architekturproduktion hinwegsetzen. Entwerfen unterscheidet sich von einer freien, künstlerischen Arbeit. Wir messen unsere Vorstellungen immer an der technischen und wirtschaftlichen, immer mehr auch an der ökologischen Realität und modifizieren sie auch immer wieder während dieses Prozesses. Wir verstehen das aber als eine schöpferische Arbeit, als einen Teil dieses Prozesses, nicht etwa als eine Schmälerung. Wie unser Kollege, Adolf Krischanitz in diesem Zusammenhang sagt: "Wir sind immer bereit, am Projekt Änderungen vorzunehmen. Voraussetzung ist, dass das Projekt dadurch verbessert wird."

Gibt es so etwas, wie eine "68er-Architektur" aus Ihrer Sicht, und wenn ja, welches wäre ihr herausragendes Beispiel?
Es gibt in meinem Verständnis keine 68er Architektur. Seltsamerweise sind aber 1967 zwei der einflussreichsten Bücher der letzten Jahrzehnte publiziert worden, Aldo Rossis "Storia della Citta“ und "Complexity and Contradiction in Architecture“ von Bob Venturi und Denise Scott-Brown. Beides sind Manifeste zu Entwurfslehren, welche in Europa und Amerika Generationen von Studenten tief beeinflusst haben. Rossi transzendiert die Idee des Typus als die essentielle Gestalt von Bauwerken, die sich über die Zeit entwickelt hat, zu einem zeitgenössischen Entwurf und Venturi, Scott-Brown haben auf poetische Weise Erkenntnisse und Strategien der Pop-Art auf die Architektur übertragen.

Wo sehen Sie die großen Kontinuitäten von 1968 bis heute, wo die Brüche?
Seit dieser Zeit hat sich viel getan. Andere wichtige Positionen sind entwickelt worden. Von kontinuierlicher Relevanz ist wohl das Spannungsfeld zwischen der Idee der europäischen Stadt, der Konvention ihrer Gebäude und Räume und der Idee der Architektur als ein künstlerisches Ereignis, das seinen Rang erst durch die Differenz zu einem konventionellen Bestand erreicht. Die Auseinandersetzung der Moderne mit der Stadt ist ein permanentes Thema.

Konnte sich die Kreativität vor vierzig Jahren freier entfalten oder wird diese Zeit im Nachhinein verklärt?
Die Kreativität konnte sich vor 40 Jahren nicht freier entfalten. Aber die Dinge haben sich verschoben. Heute werden die Projekte hauptsächlich von Investoren bestimmt, die wiederum auf die Meinung von Marketing-Experten hören. Die Architekten werden in diesen Prozessen immer mehr an den Rand gedrängt, zu reinen Gestaltern, die ihr allgemeines Wissen und ihre Kreativität zum Programm nicht mehr einbringen dürfen. Dadurch bestehen gewiss Engpässe. Mehr Spielraum hat der Architekt aber innerhalb dieses Felds des Gestaltens erhalten. Häuser können heute beliebig expressive Formen annehmen, man denke nur an die neuen Skylines, beispielsweise in London, wo die Hochhäuser die wildesten Formen aufweisen.

Karriere und Vermarktung spielen heute eine wichtige Rolle. Steht dies der Kreativität von Architekt/innen entgegen?
Karriere und Vermarktung sind tatsächlich wichtig. Allerdings war das auch schon 1920 so. Wenn die Architekten besonnen damit umgehen und sich nicht beirren lassen, wird ihre Kreativität dadurch nicht bedroht.

Spielen vergangene Entwicklungen und Traditionen für Sie als Architekt/in eine Rolle, oder dominieren Ihre Arbeit Fragen der Gegenwart?
Ich selbst bin von Aldo Rossi beeinflusst. Wir schöpfen aus der Geschichte und den Typen, die sie hervorgebracht hat. Das widerspricht keineswegs der Tatsache, dass wir uns die Fragen der Architektur in der Gegenwart stellen und nicht einfach Vergangenes wieder wecken wollen.

Was würden Sie gerne entwerfen/bauen, wenn Sie keinen äußeren Zwängen unterworfen wären?
Wir lieben das, was man die Zwänge in der Architektur nennen mag. Ob wir Museen oder geförderte Wohnungen bauen, wir werden unseren Entwurf immer aus den Ansprüchen, das heisst den Bedingungen schöpfen, die an eine Bauaufgabe gestellt werden. Für uns sind das keine Einschränkungen sondern die Konditionen, die es uns erst erlauben, einen präzisen Entwurf zu entwickeln.

Links
Diener und Diener
Nextroom - Turn On