Vermögensentzug und "Wiedergutmachung" - Teil 1

Raub und Rückgabe

Unmittelbar nach dem sogenannten Anschluss setzte in ganz Österreich die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten ein. Gleichzeitig begann ein quasi legaler Vermögensentzug nie dagewesenen Ausmaßes.

Es war, wie wenn man heute der gesamten Bevölkerung von Graz das gesamte Vermögen wegnehme, versucht die Historikerin Eva Blimlinger, Forschungskoordinatorin der 2003 aufgelösten Historikerkommission, das enorme Ausmaß des Vermögensentzugs an einem Beispiel greifbar zu machen. Basis dafür ist die Annahme, dass es 1938 rund 220.000 Juden und Jüdinnen in Österreich gegeben hat. Das entspricht in etwa der Bevölkerung von Graz.

Geraubt wurde alles

Schon das Inhaltsverzeichnis des 2003 veröffentlichten Schlußberichts der Historikerkommission über "Vermögensentzug - Juden und Jüdinnen" zeigt den Umfang der Beraubung:
Unternehmens- und Betriebsvermögen, Liegenschaften, Miet- und Pachtrechte, Mobilien: Hausrat, Schmuck, Bücher usw. sowie Kunstgegenstände, Lebensversicherungen und andere Arten von Versicherungen, Wertpapiere, Steuern und diskriminierende Abgaben, Staatsbürgerschaft, entzogene oder nicht erfüllte Ansprüche aus Beschäftigungsverhältnissen/Berufsverbote und Berufsschäden, Ausbildungsschäden - Schulbesuchsverbote, verhinderte Berufsausbildungen.

Vermögensentzug auf quasi-legaler Basis

Auf die wilden, ungezügelten Plünderungen durch den Mob unmittelbar nach dem "Anschluss" folgte der Vermögensentzug "in geordneten Bahnen". Der NS-Staat stellte den Raub auf eine quasi-legale Basis. Im April 1938 wurde die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden erlassen. Bis Ende Juni 1938 mussten "Personen mosaischen Glaubens, die ein Vermögen von mehr als 5.000 Reichsmark besaßen" dieses bei der Vermögensverkehrsstelle deklarieren.

Vom Vermögen mussten Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe bezahlt werden. Maßnahmen wie die Vermögensanmeldungen halfen den Nationalsozialisten später bei der Durchführung der Deportationen - denn damit war die jüdische Bevölkerung erfasst.

"Der Jud muß gehen, das Gerstl bleibt da"

Der Vermögensentzug stand am Beginn, es folgten Vertreibung und Vernichtung. Klares Ziel der Nationalsozialisten war es, die jüdische Bevölkerung zu vertreiben und ihr Vermögen zu behalten, sagt die Historikerin Brigitte Bailer-Galanda, Forschungsvorsitzende am Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und stellvertretende Vorsitzende der Historikerkommission.

Jemand habe das einmal so formuliert: "Der Jud muß gehen, das Gerstl bleibt da". Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1941 verfiel das gesamte Vermögen von Juden, die das Deutsche Reich verlassen hatten, an den NS-Staat - also nicht nur von Vertriebenen und Geflüchteten, sondern auch von Deportierten.

Opfer Roma und Sinti

Insgesamt umfasste die Opfergruppe der sogenannten Zigeuner rund 11.000 Personen, nur etwa 1500 bis 2000 überlebten die NS-Herrschaft. Im 1940 eingerichteten "Zigeunerlager Lackenbach" im Burgenland waren rund 4000 Roma und Sinti unter katastrophalen Bedingungen interniert und mussten Zwangsarbeit leisten.

Im Herbst 1941 wurden 2000 ins Ghetto Lodz und von dort ins Vernichtungslager Chelmno deportiert. Viele österreichische Roma und Sinti haben nach 1945 keine oder nur sehr geringe Wiedergutmachungsleistungen erhalten. Erst nach 1995 wurden die Opfer aus den Mitteln des NS-Opferfonds, des Zwangsarbeiterfonds und des Allgemeinen Entschädigungsfonds für einen Teil ihrer Verluste und Leiden "entschädigt".

Opfer katholische Kirche

Der Vermögensentzug betraf auch die römisch-katholische Kirche. Das Deutsche Reich hatte eine ambivalente Haltung zur Kirche. Einerseits gab es das Konkordat, andrerseits war den Nationalsozialisten die tiefe Verankerung der katholischen Kirche in Österreich ein Dorn im Auge.

Auf Basis der "Verordnung über die Einziehung volks-und staatsfeindlichen Vermögens" konnte sich der Reichsführer SS Vermögen aneignen. Nach dem "Anschluss" drang die Gestapo in Stifte und Klöster ein und beschlagnahmte Bibliotheken, Kunstschätze, Vermögenswerte, entzog Ländereien und Grundbesitz. Das meiste wurde restitutiert.

Mehr dazu in oe1.ORF.at
Der Raub der Bilder

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 10. März bis Donnerstag, 13. März 2008, 9:05 Uhr

Mehr zur Kontroverse um das Leopold Museum in oe1.ORF.at

Buch-Tipps
Clemens Jabloner, Brigitte Bailer-Galanda u.a., "Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich", Oldenbourg

Gerhard Baumgartner, Florian Freund, "Roma-Politik in Österreich", KV Österr. Roma

Bernhard Sebl, "Besitz der toten Hand - Entziehung und Restitution des Vermögens der Benediktinerstifte Admont und St. Lambrecht", STmk. Landesarchiv 2004

Gabriele Anderl, Alexandra Caruso, "NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen," Studien Verlag

Murray Hall, Christina Köstner, "…allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern", Böhlau

Gert Kerschbaumer, "Meister des Verwirrens. Die Geschäfte des Kunsthändlers Welz", Czernin Verlag

Sophie Lillie, "Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens", Czernin Verlag

Stefan August Lütgenau, Alexander Schröck, Sonja Niederacher, "Zwischen Staat und Wirtschaft - Das Dorotheum im Nationalsozialismus", Oldenbourg

Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, "Raub u Rückgabe, Österreich von 1938 bis heute (4 Bände)", Mandelbaum Verlag

Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, "Enteignete Kunst", Mandelbaum Verlag

Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, "Ausgeschlossen und entrechtet", Mandelbaum Verlag

Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, "Arisierte Wirtschaft", Mandelbaum Verlag

Verena Pawlowsky, Harald Wendelin, "Die Republik und das NS Erbe", Mandelbaum Verlag

Links
Nationalfonds und Entschädigungsfonds
Nationalfonds der Republik Österreich
Kunstrestitution
Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen
lostart.de
Österreichische Nationalbibliothek
Murrayhall.com
Wien Museum
Document Archiv
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