Parlando und "Mieze Meier"

Autobiografische Opern-Rarität in Zürich

Christian Thielemann auf die Frage, ob er von Richard Strauss nicht auch "Intermezzo" dirigieren wollte: "Ich kenne das Werk nicht." Symptomatisch für die Außenseiterstellung, aus der die Oper seit ihrer Uraufführung 1924 nicht herausgekommen ist.

Die Zielsetzung bei der Entstehung von "Intermezzo" war eine artistische: mit den handelnden Figuren eine neue Art Parlando-Stil zu erreichen, so nahe am Sprechton wie nur möglich. Das große symphonische Orchester sitzt zwar im Graben, wird aber nur für die Zwischenspiele (die Intermezzi) zwischen den Spielszenen in voller Stärke und mit melodienseliger Musik eingesetzt - Melodienseligkeit, die der Komponist seinen Solistinnen und Solisten die längste Zeit vorenthält.

Zur Lösung dieser kompositionstechnischen Aufgabe kaprizierte sich Richard Strauss auf zu Dreistundenlänge breitgetretene Szenen einer Ehe: Ein Hofkapellmeister Storch bekommt statt eines Kollegen Stroh das Billett einer gewissen Mieze Meier zugeschickt. Die Frau Gemahlin liest es, wittert Betrug und Skandal, ist nahe dran, sich zu rächen, in dem sie sich selbst auf eine Affäre einlässt, aber am Ende klärt sich das Missverständnis, erweist sich als lästiges "Intermezzo", große Versöhnung ist angesagt - ein Happy End ganz ohne "doppelten Boden".

Ein Komponist setzt sich in Szene

So weit, so trivial. "Pikanterie" des Ganzen: Nachdem Strauss in jüngeren Jahren schon in seine Tondichtung "Ein Heldenleben" autobiographische Anspielungen hineingepackt hatte - als "Heldentaten" ziehen Straussens frühere Kompositionen vorbei, mit einem "zänkischen" Violinsolo wird Ehefrau Pauline Strauss portraitiert -, musste speziell in den 1920er Jahren jedem, der mit der Strauss-Vita nur halbwegs vertraut war, klar werden, dass in "Intermezzo" Protagonist "Robert Storch" in Wahrheit für Richard Strauss stand, und Gattin Christine für dessen bekannt resolute Pauline.

Strauss' Lieblingsmarmelade

"Storch" ist als Dirigent zwischen Berlin und Wien gefragt, frönt der Skatleidenschaft (eine "auskomponierte" Skatpartie bildet eine der extravagantesten Szenen), isst zum Frühstück gern Hagebuttenmarmelade - ganz wie Strauss im wirklichen Leben. So wie bei der zwiespältig aufgenommenen "Intermezzo"-Premiere wurde das Interieur der raren "Intermezzo"-Aufführungen noch lange dem der Garmischen Strauss-Villa nachgebildet, und die "Storchs" von den Maskenbildnern auf Strauss-Ähnlichkeit getrimmt.

Die Fans waren - wie Marcel Prawy stets berichtete - begeistert, derlei intime Details aus dem Leben des Musikers zu erfahren, alle anderen reagierten peinlich berührt. Schon Hugo von Hofmannsthal, der nach Wunsch von Strauss das Textbuch hätte ausarbeiten sollen, lehnte ab. So hat sich Strauss das Libretto selbst geschrieben und sich in der männlichen Hauptfigur als strahlender Sieger in allen Belangen portraitiert, stets mit einem von oben herab gesprochenen Witzchen auf den Lippen, moralisch untadelig bis in die letzte Frackfalte - unausstehlich machohaft!

Frau "Stroh" am Rande des Nervenzusammenbruchs
Ein "Intermezzo" blieb die Oper auch in der musikalischen Entwicklung von Richard Strauss: Erst im "Capriccio", das sein Oeuvre - mit Titel-Anspielung auf das frühere Stück? - abschließt, wird das "Konversationsstück" wieder aufleben.

Umso rarer sind Sängerinnen und Sänger, denen der im "Intermezzo" verlangte wortpräzise Parlando-Ton im Blut liegt: Hanny Steffek und Hermann Prey fallen einem aus der Vergangenheit als "Intermezzo"-Paar ein, Lucia Popp und Dietrich Fischer-Dieskau.

"Intermezzo" in Zürich
Die Züricher Oper schickt mit Christiane Kohl und Rod (früher Rodney) Gilfry eine Sopran-Newcomerin und einen leicht in die Jahre gekommenen Bariton-Bonvivant ins Rennen: Sie, bisher wenig beachtetes Ensemblemitglied, siegt auf allen Linien, ringt sich mit leichter Stimme auch das verlangte Zänkische und Kratzbürstige ab, er hat seine Mühe mit den vielen Worten und der in der Kehle steckenden Stimme.

Roberto Saccà gibt dazu mit Tenorklischee den zuletzt doch abgewiesenen Christinen-Liebhaber in spe, Routinier Peter Schneider am Dirigentenpult spart sich das Süffige und Farbenreiche für die symphonischen Zwischenspiele auf. Für sie muss in Zürich kein Vorhang fallen: Jens-Daniel Herzog zerrt das Stück mit Moon-Boots und Skihasen-Outfit in die Gegenwart, wo es nicht hinpasst, lässt die Drehbühne aber geschickt rund um die Figur der Pauline-"Christine" kreisen, die er - mit Anleihen bei Strindberg - als Opfer der bürgerlichen Männerwelt in deren Zentrum stellt. Dass diese Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs in Herzogs Sicht einmal sogar den Kindsmord erwägt, macht sie zur Medea-Schwester, aber nicht glaubwürdiger. Man muss Richard Strauss schon sehr lieben, um "Intermezzo" zu ertragen.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 27. März 2008, 15:06 Uhr

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Opernhaus Zürich