Vermögensentzug und "Wiedergutmachung" - Teil 4

Naturalrestitution von Liegenschaften

Die systematische Entziehung von Vermögenswerten während der NS-Zeit betraf auch Liegenschaften, die heute im Eigentum des Bundes sind. Wie ist es um die tatsächliche Rückgabe dieser Immobilien an die ehemaligen Eigentümer bestellt?

Die systematische Entziehung von Vermögenswerten während der NS-Zeit betraf auch Liegenschaften, die heute im Eigentum des Bundes sind. Das Entschädigungsfondsgesetz 2001 hat für die Opfer die Möglichkeit der Naturalrestitution von Liegenschaften in öffentlichem Eigentum geschaffen.

Fallbeispiele

Ins Licht der Öffentlichkeit gelangten bislang nur prominente Fälle wie das ehemaligen Sanatorium Fürth in der Schmidgasse in Wien 8, das Palais der Familie Bloch-Bauer in der Elisabethstrasse in Wien 1, das im Eigentum der ÖBB stand oder das Haus in der Weihburggasse, wo das AMS untergebracht war.

Diese Liegenschaften wurden an die Erben der ursprünglichen Eigentümer rückgestellt. Doch daneben gibt es zahlreiche unbekannte und noch ungelöste Fälle, die die eigens dafür beim Allgemeinen Entschädigungsfonds eingerichtete Schiedsinstanz zu klären hat.

Was ist extreme Ungerechtigkeit?

Das Entschädigungsfondsgesetz ging davon aus, dass in erster Linie neue Anträge auf Naturalrestitution von Liegenschaften kommen würden. Zusätzlich sollte für die Betroffenen die Möglichkeit geschaffen werden, Rückstellungen aus den 1940er und 1950er Jahren wiederaufzurollen, wenn damalige Vergleiche extrem ungerecht waren.

Das Entschädigungsfondsgesetz definiert aber nicht konkret, wann ein früherer Vergleich extrem ungerecht war, was problematisch sei, meint der Jurist Georg Graf vom Institut für Privatrecht an der Universität Salzburg, denn der Begriff sei sehr unbestimmt und räume weiten Entscheidungsspielraum ein.

Tatsächlich muss sich die Schiedsinstanz heute vor allem mit solchen Fällen beschäftigen, die in den Nachkriegsjahren mit Vergleichen geendet hatten, nun aber neu aufgerollt werden, erklärt Josef Aicher, der Vorsitzende der Schiedsinstanz.

Anträge der Israelitischen Kultusgemeinde

Die israelitische Kultusgemeinde hat als Vertreterin der Opfer tausende Liegenschaften der Republik und der Stadt Wien durch ein Historikerteam systematisch überprüfen lassen und daraufhin bei der Schiedsinstanz einige dutzend Anträge gestellt, erzählt Ingo Zechner, Leiter der Anlaufstelle für Jüdische NS-Verfolgte in der IKG. Seien doch die Betroffenen in der Regel völlig überfordert gewesen, Informationen zu sammeln, auszuwerten und fristgerecht Anträge zu stellen.

Nicht besonders zufrieden ist die Kultusgemeinde mit dem Tempo der Entscheidungen. Bislang hat die Schiedsinstanz 35 Liegenschaften fertig bearbeitet - bei elf wurde eine Rückstellung entschieden, in 16 Fällen wurde die Rückstellung abgelehnt. Über die von der IKG eingebrachten Anträge habe die Schiedsinstanz bisher erst in kleinerer Zahl entschieden. Nach zwei spektakulären Ablehnungen finde derzeit eine intensive Debatte über die Auslegungskriterien des Gesetzes statt, deren Ende noch nicht absehbar sei, so Zechner.

Divergierende Meinungen

Knackpunkt divergierender Meinungen ist immer wieder die Frage, ob ein früherer Vergleich extrem ungerecht war oder nicht. Und es geht um die Frage, ob Verträge zur Zeit der Rückstellungen in den Nachkriegsjahren tatsächlich "frei und willentlich" geschlossen worden und daher bindend sind, ob also der Begriff der Privatautonomie anzuwenden sei.

Die historische Realität habe anders ausgesehen, meint der Jurist Georg Graf, der typische Rückstellungsvergleich in den Nachkriegsjahren sei ein Rückstellungsverzicht gewesen. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die Kuratoriumsvorsitzende von Nationalfonds und Entschädigungsfonds, appelliert an alle, den Dialog zu suchen und auch anderslautende juristische Meinungen anzuhören. Denn der Begriff der extremen Ungerechtigkeit bleibt eine juristische Grauzone. So räumt denn auch der Vorsitzende der Schiedsinstanz, Josef Aicher ein, er könne nicht völlig ausschließen, dass abgelehnte Fälle auch anders ausgehen hätten können - wären zum Beispiel neue Zeitzeugen oder Dokumente aufgetaucht.

Ungeklärt: Fristverlängerung; Länder und Gemeinden

Anträge auf Naturalrestitution von Liegenschaften in öffentlichem Eigentum konnten bis Ende 2007 gestellt werden. Vielfach wurde die Forderung nach einer Aufhebung oder Verlängerung der Antragsfrist laut. Doch bislang wurde darüber noch keine politische Einigung erzielt.

Eine politische Einigung fehlt auch noch, was eine Einbeziehung von Ländern und Gemeinden betrifft, die bisher noch nicht bereit waren, ihre fragwürdigen Liegenschaften durchleuchten zu lassen, so Prammer.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 10. März bis Donnerstag, 13. März 2008, 9:05 Uhr