Zwischen Demokratie und Totalitarismus
Das 20. Jahrhundert
Das 20. Jahrhundert war in vielerlei Hinsicht ein Jahrhundert der Extreme, geprägt von Diktaturen, Massenmorden und Weltkriegen. Das sind Bilder, mit denen das 20. Jahrhundert in die Geschichtsbücher eingehen wird.
8. April 2017, 21:58
Das 20. Jahrhundert war in vielerlei Hinsicht ein Jahrhundert der Extreme, geprägt von Diktaturen, Massenmorden und Weltkriegen. Für Österreich bedeutet die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert aber auch Demokratie, Wohlstand und Sicherheit. Drei Gedenktage symbolisieren diesen extremen Gegensatz.
Auf der einen Seite das Jahr 1918: als Jahr der Hoffnungen und des Neubeginns, die Geburtsstunde der Ersten Republik und ein demokratischer Aufbruch. Auf der anderen Seite1933: als endgültiges Aus für diese Hoffnungen, das Ende der Demokratie in Österreich und schließlich 1938 als Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme, als Beginn der schlimmsten Periode österreichischer Geschichte.
1918: Frühling und Herbst der Demokratie
Am 12. November 1918 wird die Republik "Deutschösterreich" ausgerufen. Die Habsburgermonarchie ist zu Ende. Der Herbst 1918 war zugleich ein Frühling der Demokratie. Doch dieser Frühling währte in Österreich nicht lange.
Die Gründe dafür sind vielfältig: unter anderem mangelnde demokratische Tradition, ein schwach ausgeprägter Liberalismus in Österreich, Gewalt als Mittel der Politik sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft der politischen Lager. Die österreichische Geschichte ist kein Einzelfall. Auch in Polen, wo Józef Pilsudski 1926 ein autoritäres Regime installiert, und in Ungarn, wo ab 1920 Miklós Horthy herrschte, überlebte die Demokratie nicht lange.
1933 und 1938 - zwei Diktaturen zerstören die Demokratie
Wer die politische Landkarte Europas der späten 1930er Jahre betrachtet, erkennt, wie zerrissen der Kontinent war. Im Westen und Norden gab es Demokratien, in Mittel-, Ost- und Südeuropa herrschten Diktaturen. Für Deutschland und Österreich endeten 15 Jahre Demokratie im Jahr 1933.
Die österreichische Demokratie scheiterte 1933 nicht einfach so. Das österreichische Parlament hat sich am 4. März 1933 nicht selbst ausgeschaltet. Es wurde im Auftrag der christlich-konservativen Regierung mit Waffengewalt daran gehindert, wieder zusammenzutreten.
Im März 1938 ging die Diktatur des christlichen Ständestaats in Österreich zu Ende. Österreich wurde Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Der Nationalsozialismus lässt sich nicht so ohne weiteres in die Gruppe der autoritären Diktaturen einreihen. Selbst vom italienischen Faschismus, der mit Mussolini 1922 an die Macht kam und für den Typus faschistischer Systeme namensgebend wurde, unterschied sich der Nationalsozialismus stark. Er war noch viel militaristischer als andere Diktaturen. Die Ermordung von Million von Menschen aus ethnischen und rassistischen Gründe war ideologisches Programm. Und im Gegensatz zu autoritären und kommunistischen Regimen ist der Nationalsozialismus nicht wandlungsfähig. Er kann sich nicht in ein demokratisches System transformieren.
Der Siegeszug der Demokratie nach 1945
Auf den ersten Blick gleichen sich 1918 und 1945. Österreich verliert einen Krieg, ein politisches System kollabiert. Doch unterschiedlicher könnte die Entwicklung der Ersten und der Zweiten Republik kaum verlaufen sein. Die Demokratie nach 1918 hielt eineinhalb Jahrzehnte. Die Demokratie seit 1945 bislang mehr als 60 Jahre, und ein Ende ist nicht abzusehen.
Mehrere Faktoren waren es, welche die Zeit nach 1945 in Österreich und Westeuropa zur demokratischen Erfolgsgeschichte werden ließen. Die Kooperation politischer und wirtschaftlicher Eliten, das Denken in Grautönen statt in Gegensätzen und ökonomischer Aufschwung.
Dennoch bleiben Probleme bestehen, vor allem die so genannte Politikverdrossenheit. Das Interesse an politischer Mitbestimmung zu heben, soll Ziel einer Demokratiebildung sein, die jedoch mehr umfassen muss als die bloße Lehre von den Institutionen einer Demokratie und ihren Aufgaben. Demokratie muss als Lebensform vermittelt werden, als Bereitschaft, demokratisch zu handeln. Gerade in ehemaligen Diktaturen ist dieser Lernprozess wichtig.
Geschichte lebt weiter - wie wichtig das Erinnern ist
Gedenktage werfen eine Blick in die Geschichte, der zugleich ein Blick auf die heutige Gesellschaft ist, auf die eigenen Einstellungen und Handlungen, aber auch unterlassenen Handlungen. Wer die Kooperation und Kollaboration mit den Diktaturen der 1930er Jahre kritisiert, sollte nicht vergessen, dass sich viele demokratische Staaten in der Nachkriegszeit vor allem aus ökonomischen Gründen bis in die Gegenwart mit Diktaturen arrangieren. Zukünftige Generationen werden sich vielleicht daran erinnern und mit diesem Teil unserer Geschichte beschäftigen.
Genauso wie die österreichische Geschichte der Jahre 1938 bis 1945 erst nach Jahrzehnten wirklich aufgearbeitet wurde. Mit gewissem Erfolg: Positive Bewertungen der Zeit des Nationalsozialismus oder antisemitische Parolen erfahren heute breiten Protest. Die Sensibilität gegen Unvertretbares ist gestiegen. Mangels eines breiten gesellschaftlichen Konsenses zwischen den großen politischen Lagern fällt die Bewertung des "Austrofaschismus" bislang deutlich schwerer.
Untersuchungen zeigen, dass die Zustimmung zu autoritären Gesellschaftsformen seit den 1970er Jahren gesunken ist. Eine aktuelle Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit und des Meinungsbefragungsinstituts SORA brachte unter anderem aber auch zutage, dass ein Großteil der Bevölkerung einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit "Austrofaschismus" und Nationalsozialismus ziehen möchte.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 12. März 2008, 21:01 Uhr
Link
Demokratiezentrum Wien - Von autoritären Gesellschaften zur Demokratie. Demokratie und Diktatur im Widerstreit seit 1918